Wohin Russlands Klimapolitik steuert

Klimaschutz ohne Russland geht nicht. Aber das Klima wartet nicht ab, bis der Krieg ausgefochten ist.

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Klimapolitik stoppt nicht an Staatsgrenzen.

(Bild: Novikov Aleksey/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
Inhaltsverzeichnis

Russland ist das größte Land der Erde und – als Land – der viertgrößte Treibhausgasemittent nach China, USA und Indien, vor Japan und Deutschland. Es lebt vor allem von der Ausbeutung und dem Export seiner Bodenschätze, von Gas, Öl und auch Industriemetallen, die für westliche Industrien wichtig sind. Hinzukommen nachwachsende Ressourcen, Getreide und Holz.

Die borealen Wälder Russlands, die Taiga, dehnen sich über zwölf Millionen Quadratkilometer aus. Das ist mehr als doppelt so viel, wie der Amazonas-Regenwald. Die Wälder Sibiriens sind einerseits enorme Kohlenstoffspeicher. Geraten sie aber großflächig in Brand, so gelangen, wie in dem Fall 2021 in den Monaten Juni bis August 960 Megatonnen Kohlenstoffdioxid (CO2) zusätzlich in die Atmosphäre. Eine Fläche größer als die Schweiz löste sich damals in Rauch auf.

Dazu leidet das Land unter dem tauenden Permafrost der nördlichen Tundra, der Häuser zum Einsturz bringt und Infrastrukturen zerstört, und aus dem Unmengen Methan aufsteigen. Das Treibhausgas verbleibt zwar nur 12 bis 30 Jahre in der Atmosphäre, ist dafür aber 28 Mal stärker klimawirksam als CO2.

Was immer in Russland passiert, das ist von globaler Bedeutung. Davon ist die Umweltjournalistin Angelina Davydova überzeugt. Sie leitete einst das Büro für Umweltinformation in St. Petersburg, hat Russland inzwischen aber verlassen.

Sie ist eine von elf Journalistinnen und Journalisten aus Russland, die in einer mehrteiligen Serie über die russische Umwelt- und Klimapolitik, die Lage von Klimaexperten und -aktivisten im Land und über den Rollback von Klimaprojekten berichten. Unterstützung bekamen die Journalistinnen und Journalisten von der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Deutschen Welle Russland und dem Journalistennetzwerk N-Ost.

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Noch vor einem Jahr gab es in Russland rege Debatten zu einer nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft, zur Regulierung von Treibhausgasemissionen und zum CO2-Handel. Denn Putin hat nach wie vor nicht die Absicht, aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen, dem Russland erst 2019 beigetreten war. Im Gegenteil: Bis 2060 will das Riesenland klimaneutral sein. Dabei galt Putin noch bis 2018 als "weicher" Klimaskeptiker, der von der Bedeutung anthropogener Emissionen für den Klimawandel nicht überzeugt war.

So startete Russland erst spät und zaghaft in eine Klimapolitik, die diesen auch Namen verdient. Entsprechend weit zurück liegt es aber im Vergleich zu Europa.

Die Regierung begann 2021 mit Planungen für ein ehrgeiziges Vorbildprojekt zur Dekarbonisierung des ganzen Landes auf der Insel Sachalin, wo die größten bekannten Erdöl- und Erdgasvorkommen Russlands ruhen und deren Umwelt durch Industrie und Autoverkehr stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die Insel ist so groß wie Österreich und liegt im Ochotskischen Meer 45 Kilometer nördlich von Japan.

"Bis Anfang 2026 sollen die anthropogenen CO2-Emissionen auf Sachalin an die Absorptionskapazität der lokalen Ökosysteme angeglichen werden. Damit soll die Insel zur ersten CO2-neutralen Region der Welt werden", schreibt Anastasia Trojanowa in ihrem Artikel zur russischen Klimapolitik. Nach Berechnungen des russischen Instituts für Globales Klima und Globale Ökologie (IGEC) könnten die ausgedehnten Inselwälder nämlich 11,1 Millionen Tonnen an CO2 aufnehmen. Demgegenüber ständen aber knapp 12,3 Millionen industrieller Emissionen, so dass der Umbau der Inselwirtschaft nur mit erheblichen Reduktionen bei den Treibhausgasemissionen einher gehen müsste. Das sollte über einen regionalen CO2-Markt realisiert werden.

Doch drei Wochen vor dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine verschob die Regierung den Projekt-Start in Sachalin auf September.

Inzwischen dienen Krieg und Sanktionen der russischen Regierung als Ausrede, bereits erreichte oder auch geplante Umwelt- und Klimastandards zurückzurollen, wie die Journalisten berichten.

So haben es jetzt auch Bedenken von Industrielobbyisten wieder leicht, wie überall auf der Welt, bei ihrer Regierung auf offene Ohren zu stoßen. Gerade wurde ein Gesetz zur Regulierung von Treibhausgasemissionen, das dieses Jahr in Kraft getreten ist, durch die Intervention von Unternehmen weich gespült. Sie beharrten, wie in westlichen Ländern auch, auf der Freiwilligkeit von Maßnahmen und lehnten gesetzliche Regulierungen von Emissionen kategorisch ab.

Die russischen Klimajournalisten gingen auch den Sorgen der Umweltbewegung wegen des Mangels an Umweltexperten nach. "Russland verliert Humankapital", zitiert Jekaterina Mereminskaja in ihrem Beitrag beispielsweise Georgi Safonow, vor dem Krieg Direktor des Zentrums für Umweltökonomie und natürliche Ressourcen an der Moskauer Hochschule für Ökonomie. Inzwischen hat auch er Russland verlassen. Aber auch die Stimme von Michail Julkin wird zitiert, einem ausgewiesenen Klimapolitik-Experten und Chef der russischen Beratungsfirma Carbon Lab, der die Lage nicht ganz so dramatisch sieht: "Viele von ihnen, wenn auch nicht alle, haben sich gegen die russische Aggression in der Ukraine ausgesprochen und sogar entsprechende Petitionen unterzeichnet."

Aber es ist leider so, dass sich gerade viele ausländische Unternehmen, die in der Umwelt- und Klimaberatung aktiv waren, aus Russland zurückgezogen haben. Was Russland jetzt aber auch für eine wirksame Klimapolitik fehlt, sind regenerative Technologien, die es bisher im Westen beziehen musste. Es gibt beispielsweise nur zwei Unternehmen, die Solarzellen produzieren können und eine Windenergiefirma, die ihre Technik aber in den Niederlanden einkauft.

Und viele Menschen, die sich vor dem 24. Februar gegen die globale Erwärmung eingesetzt hatten, protestieren jetzt gegen den russischen Krieg in der Ukraine.

Alle Beiträge der russischen Klimajournalistinnen und -journalisten erscheinen beim "Klimareporter", dem Projekt des Vereins Klimawissen e.V..

(jle)