Missing Link: Hört bitte auf, Schauspieler digital jünger zu machen

Digitale Verjüngungskuren gibt's jetzt schon in TV-Produktionen. Selbst die besten können nicht überzeugen – also lasst es lieber sein, meint Gerald Himmelein.​

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Künstliche Intelligenz von Disney Research verjüngte Harrison Ford für den ersten Akt von "Indiana Jones und das Rad des Schicksals" von knapp 80 auf rund 35 Jahre.

(Bild: 2022 Lucasfilm Ltd. & TM.)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Gerald Himmelein
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Seit fünfzehn Jahren versuchen Special-Effects-Experten, Schauspieler mit digitalen Tricks überzeugend jünger oder älter zu machen (De-aging). Obwohl die Ergebnisse nie so richtig überzeugen, zieht die Technik immer weitere Kreise – nach dem Motto: "Irgendwann werden wir es schon hinbekommen."

Auf der Strecke bleibt das Publikum: Wenn der Effekt misslingt, lenkt das von der Handlung ab. Für den fünften "Indiana Jones"-Film hat Industrial Light & Magic (ILM) drei Jahre damit verbracht, Harrison Ford jung zu rechnen – und gleich in der ersten Einstellung entgleisen ihm die Gesichtszüge.

Ein Kommentar von Gerald Himmelein

Gerald Himmelein schreibt seit 1998 für die c't und heise online. Er beschäftigt sich mit Dingen, die einem auf den Fuß (Hardware) ebenso wie mit Dingen, die einem auf die Nerven fallen können (Software). Also von Grafiktabletts und Tastaturen über Malprogramme und 3D-Grafik bis hin zu Windows-Troubleshooting.

Mein kleiner, unbedeutender Rat an die mächtigen, global agierenden Studios: Lasst es einfach sein, es wird nie klappen. Investiert das Geld in andere Bereiche. Bessere Drehbücher zum Beispiel.

Denn selbst wenn es inzwischen Filme gibt, in denen die digitalen Doubles stellenweise überzeugen, denken Zuschauer doch: "Oh, das sah jetzt aber echt Fake aus". An der Stelle steigt das Publikum aus der Handlung aus. Das können Filmemacher eigentlich nicht wollen. Wie haben sie sich da nur reinmanövriert?

Als in "Titanic" (1997) ein hilflos schreiender Mann erst auf die Schiffsschraube knallt und dann ins Wasser, musste sich dafür kein Stuntman das Genick brechen. Der Unglückliche war ein rein virtueller Schauspieler, der per Keyframe-Animation ins ebenfalls digitale Meer fiel. Dem Publikum war das offenbar klar: Der Tod von "Propeller Guy" war so übertrieben, dass im Kino viele Zuschauer unwillkürlich auflachten.

Mittlerweile sind derartige digitale Doubles für Massenszenen ein alter Hut. Der aktuelle Trend ist vielmehr die digitale Manipulation von Schauspielern mit Sprechrollen. Das passiert inzwischen so häufig, dass es ein Streitpunkt im jüngsten Arbeitskampf zwischen der US-amerikanischen Schauspielergewerkschaft und den Filmstudios war.

Im Film "Der seltsame Fall des Benjamin Button" (2008) war der digital gealterte Brad Pitt noch ein Gimmick. Die Hauptfigur alterte in umgekehrter Reihenfolge – wurde also als Greis geboren und starb als Kleinkind. Statt den Schauspieler unter Latexschichten zu vergraben, wurde Pitts gealterter Kopf digital erzeugt. Seinerzeit wurde die Arbeit von Digital Domain als technische Revolution gefeiert, heute mutet das Ergebnis eher grobschlächtig an.

Dreimal nicht Arnold Schwarzenegger: Solange das digitale Double im im Schatten steht, passt es fast, doch je mehr Licht darauf scheint, desto bizarrer wirkt der falsche Arnie in "Terminator: Salvation" (2009).

(Bild: Sony Pictures)

Für "Terminator: Salvation" (2009) versuchte sich ILM an einem digitalen Arnold Schwarzenegger. Obwohl das digitale Double stumm bleibt und nur für wenige Sekunden im Bild ist, wirkt sein zerknautschtes Gesicht total verkehrt, sobald Licht darauf fällt. Egal, was Regisseur McG beteuert – das Ergebnis vermag keinen Moment zu überzeugen.

Auch zwei weitere Versuche, bei Schwarzenegger das Rad der Zeit zurückzudrehen ("Terminator: Genisys", 2015; "Terminator: Dark Fate", 2019), waren nur stellenweise erfolgreich: Stimmte bei "Salvation" vor allem die Mundpartie nicht, krankte es bei "Genisys" an den Augen.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Bei "Tron Legacy" (2010) war abermals Digital Domain am Zug. Diesmal galt es, den damals 60-jährigen Jeff Bridges auf etwa die Hälfte zu verjüngen. Zum Filmstart versprach die Marketing-Abteilung eine technische Revolution und einen hundertprozentig überzeugenden Effekt – Regisseur Joseph Kosinski war hingegen deutlich ehrlicher. So wird schon im Prolog des Films klar, dass sich die VFX-Techniker heftig übernommen haben: Beim digital verjüngten Flynn findet sich das Publikum tief im "Uncanny Valley" wieder.

Das "Uncanny Valley" entsteht bei der unvollständigen Annäherung an eine möglichst fotorealistische Darstellung; auf Deutsch ist mitunter von "Akzeptanzlücke" die Rede. So akzeptieren Zuschauer eher menschenähnliche Fantasy-Figuren wie die Na'vi, die Pearls, den Hulk und Thanos, als dass sie sich einen unvollkommen gerenderten Menschen unterschieben ließen. Warum das so ist, darüber streiten die Gelehrten noch.

Nicht, dass sich Visual-Effects-Profis von dieser Grenze abschrecken ließen: Inzwischen haben über 40 Filme und ein Dutzend Fernsehserien auf De-aging-Technik zurückgegriffen, allem Murren zum Trotz. ILM ließ sich nicht lumpen, für das Star-Wars-Prequel "Rogue One" (2016) sogar den 22 Jahre zuvor verstorbenen Schauspieler Peter Cushing digital zu reanimieren. Was vom Studio als technischer Durchbruch gefeiert wurde, sieht tatsächlich ziemlich gruselig aus. Den Rest gibt der Sache eine digitale Prinzessin Leia, die wie eine Wachsfigur von Carrie Fisher aussieht statt wie Fisher in jung.

Parallel dazu entwickelte sich De-aging zum Markenzeichen der Marvel-Filme. Den Anfang machte ein verjüngter Michael Douglas in "Ant-Man" (2015) – das Ergebnis sah abwechselnd plausibel und grässlich aus. In "The First Avenger: Civil War" (2016) machte Robert Downey Jr. in einer Rückblende den Eindruck, als sei er erst Botox, dann einem Wespenschwarm zum Opfer gefallen.

Ein Tiefpunkt war "Captain Marvel" (2019), der im Jahr 1995 spielt. Die zweite Hauptrolle spielt Samuel L. Jackson, der keinen Moment lang so aussieht wie in seinen Filmen aus den 90er-Jahren. Marvel lässt sein De-aging von Lola FX rendern, in einer Kombination aus 2D-Bearbeitung und 3D-Elementen.

Dreimal nicht Jeff Bridges: In "Tron Legacy" (2010) konnte der digitale Flynn nie überzeugen -- aller Versprechungen zum Trotz.

(Bild: Walt Disney Pictures)

Im selben Jahr versuchte sich WETA Digital in "Gemini Man" daran, Will Smith zu verjüngen. Es war der große Selling Point des Films: alter Will gegen jungen Will. Dabei ging WETA ähnlich vor wie Digital Domain zehn Jahre zuvor in "Benjamin Button": Die Mimik des echten Will Smith wurde per Facial Capturing auf ein verjüngtes digitales Double angewandt. WETA betonte immer wieder, dass sie im Unterschied zu Lola FX nicht "nur" die Falten des Schauspielers glattbügelten, sondern den digitalen jungen Will Smith von Grund auf rendern.

Dann warf auch noch Regisseur-Legende Martin Scorsese seinen Hut in den Ring. In "The Irishman" (2019) übernahm ILM das De-aging der Hauptdarsteller Robert De Niro und Joe Pesci. Auch dies sieht alles andere als realistisch aus; niemand würde den digital entalterten De Niro mit dem echten jungen De Niro verwechseln. Ein wesentlicher Faktor ist dabei, dass sich die alten Recken eben nicht mehr so dynamisch bewegen wie in jüngeren Jahren. Kritiker zeigten sich jedoch gnädig und beschlossen, den Faux-pas als künstlerische Entscheidung zu sehen.