4W

Was war. Was wird.

Die Wochenschau von Hal Faber: Von Liebesbriefen und klugen Leuten, Cool People und Times, mit einer Bemerkung über aufgeblasene Startups.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 27 Kommentare lesen
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Über allem aber ist Liebe, die nie endet: Nach den Attacken von ILOVEYOU stellte die gefährlichere Neuerscheinung NewLove die erklärenden Medien in dieser Woche vor große Probleme. Der unheilbringende VBS-Anhang ist schwerer zu erkennen, weil sowohl die Betreffzeile der E-Mail wie der Name der angehängten Datei geändert werden. Dafür stöbert das Programm auf des Anwenders Festplatte herum und sucht sich sein Thema aus kürzlich benutzten Dokumenten des Benutzers aus. Wie warnt man die Allgemeinheit vor solch einem Wurm? Die Nachrichtensender versuchten es auf die seriöse Art der Virus-Forscher und warnten vor *.vbs-Anhängen. Die Information, dass das Sternchen computertechnisch als Platzhalter fungiert, wurde dabei vielfach nicht mitgesendet. Den Höhepunkt bildeten solchermassen Rundfunksendungen, die vor "Sternpunkt-VBS" warnten. Als Gegenmaßnahme dürfen wir ein kräftig wirkendes Verbizid empfehlen.

*** Zu den unvermeidlichen Begleiterscheinungen eines Virus gehören die klugen Leute, die alles besser wissen. Zeitgenossen dieser ungemütlichen Sorte verschickten in den letzten Wochen E-Mails mit einem Textanhang, den sie in LOVE-LETTER-TEXT.txt.vbs umbenannten. Mindestens in einem Fall brachte so ein Buh-Buh-Spielchen mit ahnungslosen Mitmenschen die Digest-Funktion einer Mailingliste zum Absturz. Statt alle aufgelaufenen Mail-Beiträge eines Tages zu sammeln und zu versenden, brach die Software nach dem fünften eingesammelten Pseudo-Anhang ab und verschickte nur einen Bruchteil der Diskussion. Damit wurde aus der Demonstration der eigenen Schweinchenschläue schlussendlich doch ein Virus, der einen Programmablauf in vom Experten unvorhergesehener Weise beeinflusste. Es ist die gnadenlose Dummheit solcher Experten, die mehr Viren produziert, als alle VB-Trickser zusammen. Am Ende stehen sie da und beteuern, dass es nur um Text geht. Good Times allerseits.

*** Vielleicht ist ja inzwischen auch all den Besserwissern das Lachen im Hals stecken geblieben. Die Vorstellung, der Liebesbrief vor zwei Wochen wäre von der gewissen Raffinesse des NewLove gewesen, kann schon kaltes Grausen auslösen. Windows-Monokultur und Unerfahrenheit der Anwender hätten einen fruchtbaren Nährboden für seine Verbreitung ergeben – mit unabsehbaren Folgen. Die klammheimliche Freude mancher selbst ernannter Fachleute, dass es nur die Windows-User traf, führte in manchen Fernsehsendungen schon zu Spekulationen, die Würmer wären gezielt ausgesetzt worden, um Microsoft in schlechtem Licht dastehen zu lassen. Das haben sie sicher erreicht – auf Kosten der Benutzer. Die Schadenfreude von Springer&Jacoby mit ihrer hämischen Anzeige ist aber kaum die angemessene Reaktion. Wie eine ungewollt treffende Randbemerkung erscheint da der Bericht einer TV-Station, die eine sächsische Firma interviewte. Der zuständige Herr des Unternehmens schwadronierte munter drauf los, welch schwere finanzielle Schäden seine Firma erlitten hätte, wäre der neueste E-Mail-Wurm nicht gleich gestoppt worden. Während des ganzen Interviews waren eifrige Mitarbeiter zu sehen, die fleißig ihre Arbeit verrichteten – an des VBS nicht mächtigen iMacs. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt.

*** Gute Nacht Napster, werden sich viele gedacht haben, als die Rechtsanwälte der Rockband Metallica und des Rappers Dr. Dre verfügten, über 300.000 Nutzer zu blockieren. Napster folgte der Auflage – und gewann dabei an Popularität, ganz im Gegensatz zu den Herren von Metallica. Eine als Musikstück getarnte Datei – noch so eine Umbenennung – erklärte den Windows-Nutzern wie den schadenfrohen Gnapster- und Knapster-Fraktionen, was in der Registry gelöscht werden muss, damit ein neuer Account geöffnet werden kann. Ob Napster damit den Webby-Award der Internet-Szene gewann? Letzte Woche veröffentlichte Napster seine Gegenliste: 30.000 Nutzer haben eine eidesstattliche Aussage gegeben, dass sie niemals illegal einen Metallica-Song per Download auf ihren Computer kopiert haben. Wenn der Rechtsstreit weiter verfolgt wird, müssen alle 30.000 von den Rechtsanwälten in Einzelverfahren vor Gericht gezerrt werden. Auch bei dem Verfahren um den Musikanbieter MP3.com hat sich Neues getan, das es nicht in die News schaffte. Mit einer Million Dollar will Alanis Morisette in den MP3-Zirkus einsteigen. Sie versucht, weitere Musiker zum finanziellen Engagement in MP3.com zu bewegen.

*** "Cool People in the Hot Desert" nannte sich eine E-Business-Veranstaltung, die letzte Woche in Beersheba über die Bühne ging. Inmitten der israelischen Negev-Wüste trafen sich deutsche und israelische Startups, Venture-Kapitalisten, Journalisten sowie Medien-Wissenschaftler aus aller Welt. Sie ergründelten, wie die Cyber-Ökonomie der Zukunft aussehen mag. Den Höhepunkt der Tagung bildete ein Vortrag des Autovermieters Erich Sixt, der sein eSixt ("Mobility Online") vorstellte und den Sieg der "Old Economy" verkündete. Sixt wünschte den Cyber-Entrepeneuren alles Schlechte, die ohne Ziegel und Mörtel, ohne Öl und Luftfilter glauben, ein Business einrichten zu können. Just diese Cybergestalten wurden von der einladenen Hubert Burda New Media als Vorbilder der Veranstaltung gepriesen. Libanesen, Griechen und Israelis führen Online-Firmen wie Amazon oder eTrade und machen deutlich, warum der Nahe Osten eine zentrale Rolle im Cyberspace einnehmen kann. Die Firmen der "New Economy" seien alle zum Untergang bestimmt, weil die Kosten der Kundenakquise mit 400 Dollar pro Kunde von ihnen niemals wieder eingespielt werden können, behauptete nun aber Sixt. Warum das so teuer ist, demonstrierte Erich Sixt, als er den kompletten Kongress in Busse verfrachtete und in die Wüste schickte. Dort wurde eine rauschende Party gefeiert, zu der Sixt Fotoapparate, Taschenlampen und Ferngläser an alle Teilnehmer verschenkte, die ihm mit Sixt-Fähnchen und orangenen Blinke-Herzchen ihre Huld erwiesen. Man blieb jedoch unter 400 Dollar pro Teilnehmer. Nächstes Jahr darf Jeff Bezos den Coolen People zeigen, wie man eine Sause in der Wüste macht.

*** Kennen Sie Times? Na klar, werden geneigte Leser unserer kleinen Wochenschau jetzt denken: "Die Schrift benutz' ich doch schon seit Jahren für meine Briefe." Anderen mögen da noch zwei Zeitungen einfallen: Die gute alte Times aus London ist aber auch nicht mehr das, was sie einmal war; dafür konnte sich die New York Times ihren Ruf erhalten. Egal, welcher Assoziation man beim Stichwort Times aber nachsinnt, sie führt weit am Thema vorbei: Times ist neu und von der Telekom, sagt sie zumindest in der neuesten Werbekampagne. Und deshalb muss man die nächsten T-Aktien unbedingt kaufen. Da sage noch einer was von Informationsflut: Oder gehört es schon zum Allgemeinwissen, dass "Times" für "Telekommunikation und Informationstechnologie sowie Medien, Erlebniswelt und telematische Sicherheit" steht? Ich wusste es nicht, aber ich zocke ja auch nicht an der Börse. Dafür bin ich jetzt aber gespannt, welchen Vogel Harald Schmidt aus der Tasche zieht, um uns armen Erdenbürgern Times zu erklären. Oder darf etwa wieder der notorische Fernsehkomissar ran?

Was wird.

In der nächsten Woche öffnet die Internet World in Berlin ihre Pforten, getarnt als "Internationaler Fachkongress für das Internet-Business". In Wahrheit ist die Messe ein Catwalk für durchdrehende Startups, die so aufgeblasen daherkommen, als wenn sie kurz vor dem Platzen stehen. Wenn man laut genug Buh ruft – wie in Boo.com – platzen sie vielleicht. Hören wir die Pressemeldung der Firma Acris, die den Telekommunikationsmarkt revolutionieren möchte, weil sie auf eine unerhörte Nutzung des Internets gestossen ist: "Die neue Hochgeschwindigkeitstechnologie VoIP (Voice over Internet Protokoll) ermöglichen außerdem eine völlig neue Nutzung des Internets. Weitere Vorteile liegen auf der Hand: es ist nochmals eine Kostenreduzierung von bis zu dramatischen 90 % realisierbar. Die Acris Communications AG kann ihren Kunden damit eine Technologie bieten, von der die Konkurrenz wahrscheinlich noch 12 Monate träumen muss." Wahrscheinlich ist es nur geträumt, wenn Elon Ganor von Vocaltec davon erzählt, wie die israelische Armee Anfang der 90er mit der Sprachübertragung in Datennetzen experimentierte, woraus seine Firma dann das Internet Phone kommerzialisierte. Die richtig coolen Leute aber sitzen in Berlin und kapieren E-Nix. (Hal Faber) (jk)