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Was war. Was wird.

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Vom Fußball bis zur Open Source reicht die Palette diese Woche.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich. Übrigens diesmal mit Verspätung – nicht aber etwa, dass die neuen Webserver von heise online ihren Dienst verweigert hätten, nein, die altbewährte interne Technik bei Heise hatte einen Schluckauf. Was wieder einmal die alte Vermutung bestätigt, nichts, was mit Computern zu tun hat, sei problemlos – auch wenn's lange gut gegangen ist.

Was war.

*** Ein wunderschöner Sommer, in dem das Korn am Halme keimt und braun auf dem Feld rumsteht, geht bald zu Ende. Das beste Indiz sind die Felder, auf denen sich ein Monarch namens König Fußball tummelt, der in Gestalt einer deutschen Nationalmannschaft als nasser fauler Sack einen "Neuaufbau" mit altbewährten Kräften durchzieht. In den niederen Regionen, in denen meine Kinder nun durch hochmotivierte Jugendtrainer durch seltsame Aufbauprogramme gejagt werden, beginnt wieder die Kutscherzeit. Tausende von Eltern transportieren geduldig Mannschaftsteile der C-, D-, E-, F-Jugend über die Dörfer und lauschen auf dem Rückweg bei der Schlusskonferenz der Bundesliga den wenigen Radioreportern, die ein Schrottspiel noch ein Schrottspiel nennen. Aber es geht auch anders. Die Schlusskonferenz der Bundesliga wurde vom DFB vorgestern an den Internet-Dienstleister Altus verkauft, der sie exklusiv in seinem bundesliga.de vermarkten darf. Bemerkenswert ist das vor allem, weil Altus offenbar an die Geschichte von der wunderbaren Beschleunigung der Handy-Technik glaubt, die dieser Tage von Tomorrow und Spiegel verzapft wird. "Mit der Verbesserung der Übertragungsmenge beim Handy und der bald möglichen Installation der notwendigen Software sollen Mobilfunk-Telefone hörfunk-fähig werden." Dann soll sich jeder Mensch am Handy seine persönliche Konferenzschaltung zusammenstellen können, behauptet Herr Look von Altus. Aber warum reicht die herkömmliche Schalttechnik des Radios nicht, bei der ein Toooor-brüllender Reporter automatisch seinen Task in den Vordergrund schiebt?

*** Zu den bizarren Folgen des Lebens gehört neben der Schlusskonferenz die Internet-Steuer, die für das private Surfen am Arbeitsplatz bezahlt werden könnte. In den Wochendausgaben der Presse ist viel von der Steuergerechtigkeit die Rede, die wohl ein schützenswertes Gut darstellt. Ganz anders sieht der Schutz aus, den die Firma Content Technologies in die Steuerdiskussion geworfen hat. Ihr Produkt Websweeper soll die Arbeitnehmer zuverlässig vor der geplanten Internet-Steuer schützen, behauptet die PR-Mitteilung. Die Software fertigt ein detailliertes Protokoll von Anlass, Datum und Uhrzeit des Internet-Gangs an, inklusive der besuchten Webseiten, das vom Finanzamt anerkannt wird. Für zwei bis fünf Pfennig Steuerersparnis führt sich der Überwachungsstaat ganz von selbst ein.

*** Wer einmal mit der Überwachung angefangen hat, kommt schwer von ihr los. Das beweist die Firma RealNetwork, die dieser Tage aus ihrem neuesten Produkt RealDownload ein Feature entfernt, das mit einem Global Unique Identifier arbeitet, der den Mitschnitt der Speicher-Gewohnheiten eines Anwenders gestattet. Schon früher hatte die Firma einen Hang zu dieser Technik. Ihr Chef Rob Glaser machte sich in der letzten Woche mit einigen pointierten Sätzen für Napster stark. Könnte Napster eine GUID für jeden Downloader liefern, wäre es der Darling der Plattenindustrie und nicht ihr Buhmann, der mit allen juristischen Mitteln bekriegt wird.

*** Von der juristischen Front um das Allerweltskürzel ASP haben die schwer schaffenden Heise-Männchen im Newsticker der letzten Woche viel berichtet. Ich frage mich unterdessen, was mit den DASP passieren wird. In diesem Fall steht das Kürzel für Digital Asset Service Provider, wie es die schweizerische Upaq als europäisches Gründungsmitglied der DASP Association ist. DASPs wollen Dokumente sicher über das tosende Internet verschicken, ohne dass der Anwender tief in die Geheimnisse von PGP einsteigen muss. Im allgemeinen Getümmel um Napster tauchte dieser Tage mit Explorer.exe ein weiterer uns wohl bekannter Name auf, der juristisch schwer umstritten ist. Klickt man auf das Produkt, entfaltet es sich freilich zum Express Loader der Firma Laplink, die mit http://www.laplinkit.com beim selbst organisierten Tausch von MP3-Dateien und anderem Material mit verdienen möchte.

*** Wo ich schon einmal die gute alte Jus streife: Es gab einmal einen Text, der nannte sich Die Kathedrale und der Basar. Eigentlich ging es da um Open-Source-Entwicklung, also die Programmierung von Software, die frei vertrieben wird, einschließlich der Quelltexte. Jeder darf sich die Programme nehmen, sie ändern, anpassen, verbessern, verschlechtern, ganz wie er mag. Und es ging um die klassische Software-Entwicklung, in der große Teams innerhalb einer hierarchischen Struktur – der Kathedrale eben – damit kämpften, anständige Software zu produzieren. Eigentlich sind sie damit zum Scheitern verurteilt, die Insassen der Kathedrale – so jedenfalls die Ansicht des Waffennarren Eric Raymond und Autoren eben dieses Textes. Die Gemeinde jubelte, auch wenn Raymond als Open-Source-Papst, zu dem die geneigte Öffentlichkeit ihn machte, von eben dieser Gemeinde unter Beschuss geriet. Open Source kennt nun mal keine Päpste, höchstens Gurus. Mit denen hat zwar schon John McLaughlin schlechte Erfahrungen gemacht, aber das historische Gedächtnis der Welt ist kurz. Unser Mahavishnu der Open Source oder besser der Johannes Paul des offenen Source-Codes zog sich beleidigt zurück – um nur umso deutlicher den Usern die Meinung zu geigen. Denn MP3-Tauschbörsen sind von Übel, da sie den Musikern ihre Einkünfte nehmen, meint Raymond in einem Statement zur Auseinandersetzung zwischen Plattenlabels und Napster. Der gute Mann verwechselt offensichtlich Zwischenhändler und Produzenten.

*** Aber vielleicht ist Raymond ja auch auf der Höhe der Zeit. Immerhin bemüht sich Napster um immer mehr Verbündete gegen die Plattenindustrie. Nein, nicht etwa die User – die kommen angesichts der Auseinandersetzungen mit den Labels ganz von selbst. Auch der "Buy-Cott", den der Dienst ausgerufen hat, wurde von Newsticker-Lesern schon passend kommentiert: Klasse Marketing-Gag für ein paar Bands, die mit unverhofften Verkäufen rechnen dürfen. Interessanterweise geht Napster ähnliche Wege wie mp3.com. Nachdem man schon eine Kooperation mit Liquid Audio geschlossen hat, um Musik in Zukunft urheberrechtlich geschützt zum Tausch anzubieten, gibt es nun auch erste Gespräche mit EMusic, einen Musik-Vertrieb im Internet. Die wurden aber erst einmal auf Eis gelegt, nachdem Napster am Netz bleiben darf – die Musik-Tauschbörse hofft offensichtlich, allein durchzukommen. EMusic wiederum war vor allem an den User-Informationen interessiert, die Napster nur noch wenig genutzt hätten, wenn die Firma gezwungen gewesen wäre, ihre Server herunter zu fahren. Es offenbart sich hier aber wohl das Geschäftsmodell von Napster, um das der Internet-Dienst bislang ein so großes Geheimnis macht. Wie so viele andere Firmen versucht die Musik-Tauschbörse, unter massivem Einsatz von Kapital erst einmal einen Markt zu besetzen, koste es, was es wolle. Bei den Usern kann man dann abkassieren, wenn man erst einmal etabliert ist. Die Plattenindustrie sieht's mit Neid. So gesehen kann ein Gerichtsverfahren auch eine Aufforderung zur friedlichen Aufteilung eines lukrativen Markts sein.

*** Kehren wir aber noch einmal zur Open Source zurück. Das Konzept ist ja recht faszinierend, und offensichtlich auch von zunehmendem Erfolg geprägt. Ob es aber wirklich trägt, dürfte sich in den nächsten Monaten erweisen. Unbestritten, Linux hat es zu einem rauschenden Siegeszug verholfen, auch andere Open-Source-Projekte können auf eine schöne Erfolgsbilanz verweisen. Berühmtestes Beispiel neben Linux selbst ist wohl Apache, der Webserver, mit dem über 60 Prozent aller Internet-Sites arbeiten. Ein schönes Ergebnis, unabhängig davon, ob die Untersuchungen näherer Überprüfung standhalten. Jetzt werden einige Leute aber wohl übermütig: Sun will im Oktober den Source-Code von Star Office herausrücken, und schon tauchen die verrücktesten Projekte auf. Es bleibt abzuwarten, ob sich aus der Sun-Aktion mehr ergibt als der verdutzte Blick auf einige hunderttausend Zeilen Quelltext – schon das aus Netscape entstandene Mozilla-Projekt ist ja nicht gerade von berauschenden Ergebnissen geprägt. Bevor aus Mozilla ein Browser geworden ist und bevor überhaupt jemand die Sourcen von Star Office gesehen hat, will aber schon jemand aus beidem eine Internet-Office-Suite generieren. Hybris oder Dummheit? Ein Office-Paket jedenfalls ist kein Emacs, bei dem sich Freaks das zusammenbasteln, was sie gerade brauchen – und das dann unters Volk schmeißen nach dem Motte "Friss oder stirb". Emacs liebt man oder hasst man. Ein Office-Paket will man benutzen, um einen Brief ans Finanzamt oder einen Liebesbrief an die Angebetete zu schreiben – Liebe oder Hass konzentrieren sich da mehr auf die Empfänger. Das könnte eine ganz neue Herausforderung für die Open-Source-Programmierer werden: Features, Features, Features, und immer an den Anwender denken. Vielleicht sind solche Projekte der endgültige Lackmus-Test, ob Open-Source-Entwicklung tatsächlich Zukunft hat.

Was wird.

Auf einer Pressekonferenz will Boris Becker in der nächsten Woche sein Internet-Projekt vorstellen, das baldigst an die Börse soll. Mit beteiligt ist die Firma AOL, bei der das Kürzel die besondere Funktion erfüllt, die Bedeutung des A im Namen zu verdecken. Ein weiteres Großereignis findet bei einer Firma mit dem Kürzel IKEA statt, die ab morgen ihre erste Website zum weltweiten Billykauf per Internet startet. Das Ganze funktioniert vorerst nur für schwedische Staatbüger und erinnert mich an die 70er-Jahre, als ein schwedischer Freak mit einerm zerfledderten Ikea-Katalog die hannoverschen Gymnasien abklapperte und Bestellungen sammelte.

Ist Schweden Europa? Ist Europa überhaupt Europa? Wohl meinende wissbegierige WWWW-Wittümer vermissen ja die große Perspektive bei Was Wird, die in die Zukunft zeigt. Etwa so weit wie bei der Firma Vtech, die die Redaktion mit einer Mappe von Weihnachtsliedern überraschte, um rechtzeitig zum Fest ihr "interaktives Plüsch" der Lörni-Serie anzupreisen. Doch so weit wie Biene Sumsie, Ripsi Raupe und Tip-Tap Bär kann niemand blicken. Vor Weihnachten häufen sich auffällig viele Konferenzen, die Europa ins Visier nehmen. Wird Europa endlich die USA überholen, fragt sich das European IT Forum der IDC. Gibt es in Europa einen Graben zwischen Europa und dem Rest von Europa, untersucht das HighTech-Forum von Esther Dyson in einer Konferenz. Ist Europa leicht im Sinne von Italo Calvino, fragt sich die Doors of Perception, eine weitere Konferenz in den Niederlanden. War Europa nicht ein Stier, oder ritt die Dame nur darauf, oder wie, oder was? (Hal Faber) (jk)