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Was war. Was wird.

Die Wochenschau von Hal Faber hat ein Herz für Tiere - und für Kleingärtner. Aber auch die Verrückten, die Ex-Hacker und die Dot.Com-Junkies bekommen ihr Fett weg.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Zwei Leuchtdioden an einem Schwanz in einer Pressemeldung haben mich diese Woche schwer ins Grübeln gebracht. Die Rede ist von dem neuen Aibo, einem Computerhündchen, das mit Memory-Sticks gefüttert werden muss. Es hat zwei Leuchtdioden am Schwanz, die laut Sony zusammen mit den Schwanzbewegungen die Darstellung vielfältiger differenzierter Emotionen ermöglichen. Neben Freude und Angst sollen unbegrenzt viele Gefühle möglich sein. Seit dieser Sony-PR betrachte ich meinen Hund misstrauisch. Er ist einer von der lebenden Sorte und kann prima mit dem Schwanz wedeln, aber unbegrenzte Gefühle hat er noch nicht geschafft. Vielleicht sollte ich ihm Leuchtdioden verpassen. Auf alle Fälle bekommt er eine Webcam umgeschnallt, weil das Menschenleben aus Hundeperspektive erregend sein soll, sagt Sony. In Verbindung mit dem Aibo Life Pack und der Aibo-Kamera macht die Computer-Töle jedes Mal ein Foto, wenn das Herrchen "Mach Foto" ruft. Mein Hund hebt da nur die Pfote. Und mir entgehen erregende Perspektiven und differenzierte Emotionen. Immerhin entgeht mir nicht, was die Bobos so treiben. Dafür danke ich dem New Yorker Internet-Millionär Josh Harris und seiner Freundin. Was können sie schon dafür, dass ihr umgedrehter Big Brother so langweilig ist?

*** Wie eine Container-Soap nimmt sich manches Mal auch das Hin und Her um die ICANN aus. Wem ist es diese Woche entgangen, dass die ICANN zu Ic, AMM transferiert wurde? Die Meldung schaffte es quer durch alle Medien bis hin zu den Blättern, die ein Gremium wie ICANN leicht mit dem Nobelpreiskommitee verwechseln. Die hier zu Lande gepflegte Berufsbezeichnung von Andy Müller-Maguhn als Ex-Hacker wurde in anderen Teilen der Welt weit weniger goutiert. Den Vogel schoss die TK-Zeitschrift Total Telecom mit "Lunatics invade the asylum at ICANN" ab. Ich schlage eine andere Lesart vor: Die Verrückten vom Schlage eines Müller-Maguhn oder Karl Auerbach stürmen die Irrenanstalt der New Economy und setzen die Bobos fest. Das ist mindestens ein plausibler Versuch, die Fahrt der Börse zu erklären. Finanzgeschädigte wenden sich bitte an den Carry Cash Club.

*** Aber das Internet ist wichtig, daher muss man sich auch um solche Wahlen kümmern. Ja, das Internet ist so wichtig, das es überall ist – sogar im Rasenmäher. Wer bei Rasenpflege noch an diese klappernden Schiebedinger denkt, die man mühsam über das winzige Rasenstückchen vor Omas Häuschen quälte, der muss schwer umdenken. Denn von der allen Kleingärtnern wohl bekannten Firma Wolf gibt es bald den Rasenmäher mit Internet-Anschluss. "Die Zukunft der Rasenpflege hat begonnen", belehrt uns der Hersteller und schickt eine Designstudie ins Rennen um eben diese Zukunft, mit der der Hobby-Gärtner im Netz surfen und normale Straßen befahren kann, auch wenn es auf denen gar keinen Rasen gibt. Da kann er dann gleich nach der Gartenarbeit in die nächste Kneipe düsen – oder zum Händler, bei dem er nach den Vorstellungen von Wolf den Dünger online bestellt hat. Und Dünger wird der Besitzer wohl viel brauchen: Denn ein Laser-Schneidsystem trimmt den Rasen auf den Millimeter genau; da lassen sich Allmachtsphantasien neurotischer Schrebergärtner über Recht und Ordnung beim gemeinen deutschen Rasen so richtig ausleben. Aber immerhin, das soll das Maschinchen neben Internet-Zugang wirklich bieten, ganz normal das Gras zu kürzen. Auch ihrem eigentlichen Zweck dienlich zu sein, kann wiederum nun wirklich nicht jede Idee der New Economy von sich behaupten.

*** Manchmal kommt man sich vor, als wären all die Leute, die solche Dinger produzieren, auf Droge – und besonders bei manchen Presseagenturen, die das dann in alle Welt hinaustönen. Wahrscheinlich ist dort aber die Produktivität besonders hoch: Im letzten Jahr veröffentlichten zwei Professoren des Le Moyne College in Syracuse, USA, eine Untersuchung, die Schlagzeilen machte. Sie analysierten 63 Computerfirmen, die ihre Angestellten auf den Gebrauch von Drogen hin testen ließen. Dabei kamen sie auf die eindeutige Korrelation, dass die Produktivität in den Firmen wesentlich höher ist, die auf Drogentests verzichten. Nun hat der San Francisco Bay Guardian die Kehrseite dieser Forschung veröffentlicht, das lesenswerte Tagebuch eines Dot.Com-Junkies. Doch Vorsicht, beim wochenendlichen Lesen schwappt es schnell aus dem Weinglas auf die Tastatur. Wo wir bei den Drogen sind, sollte eine Untersuchung der Französisin Joelle Richardiére nicht fehlen, die auf dem Kongress der Alliance for Childhood vorgestellt wurde. Sie untersuchte die Melantonin- und Adrenalin-Produktion von Computer spielenden Kindern: Die Hormone unterdrücken Sättigungs- wie Hungergefühle so effektiv, dass beim Daddeln pausenlos Chips gefuttert werden können, ohne dass sich jemals eine Sättigung einstellt. Der Kongress der Alliance fand übrigens neben Räumen statt, die unter www.kulturneindanke.org zu erreichen sind. Es kommt zusammen, was zusammen gehört.

*** Zu den unvorhersehbaren Wahlergebnissen dieser Woche gehörte eher die Veröffentlichung der Darwin Awards.Den bekommen diejenigen, die "unseren Gen-Pool schützen, indem sie sich selbst aus ihm entfernen", die "sich selbst auf äußerst idiotische Art eliminieren, wodurch sie die Chancen unserer Spezies auf ein langfristiges Überleben sichern", wie die Verleiher recht trocken formulieren. Unvorhersehbar darum, weil Geschichten wie "Father Knows Best" auf den Siegertreppchen landen, die eigentlich in die griechische Tragödie von Ödipussy passen. Nunc Aeternitatis – oder war das Lateinisch? Oder die allseits bekannte Odyssee?

Was wird.

Am Mittwoch öffnet die Frankfurter Buchmesse ihre Pforten. Das mit dem Buch sollte man nicht so ernst nehmen. Ein Drittel aller Aussteller, verkündet die Messeleitung stolz, stellt Produkte rund um das elektronische Publizieren vor. Offensichtlich haben alle die Nase voll von der Büchermacherei und wollen etwas ganz anderes machen. Literatur für Bobos eben. Da trifft es sich gut, dass die beiden schwedischen Gründer von Boo.com einen tollen Deal geschafft haben und nun an einem Buch über das Abzocken von Venture-Kapital sitzen.

Doch vor der Buchmesse in Deutschland verzeichnet der Kalender den National Boss Day am 16. Oktober. In den USA soll dies der Tag sein, an dem die arbeitende Klasse ganz besonders liebe Gefühle für den Boss zum Ausdruck bringt. Eigens für diesen Tag hat die Firma ImproveNow.com auf ihrer Website einen Service eingerichtet, bei dem sich jeder Mitarbeiter einer Firma am Wettbewerb "Improve your Boss" beteiligen kann. Am Ende soll der "Most Improved Boss" gekürt werden. Expropriiert die Expropriateure ist damit nicht verbunden, auch Dope in den Kaffee vom Boss zu schütten gilt eher als Unschicklichkeit, denn ImproveNow ist eine aufsteigende Firma der absteigenden New Economy. Sie drängt ins B2B-Geschäft, was wohl Boss-to-Boss heißen muss.

Außerdem steigt am nächsten Wochenende in Paris die neunte Ausgabe der Cité de la Reussité. Das ist eine Veranstaltung französischer Studenten, die Promis einladen, ihnen Rede und Antwort zu stehen. Dieses Jahr ist das Thema die Fantasie, die im Jahre 1968 unter dem Slogan L'imagination au pouvoir an die Macht gefordert wurde. Hauptsponsor der Konferenz ist die Firma EDS, die mit lukrativen Outsouring-Verträgen derzeit kaum aus den Medien heraus kommt. Wofür braucht EDS Fantasie? Die PR zum Kongress gibt dazu Auskunft: "EDS-Mitarbeiter entwickeln täglich neue effektive Methoden und Prozesse, um ihren Kunden Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Dafür setzen sie ihre ganze Fantasie ein." Als vor dreißig Jahren die Studenten in Paris und anderswo im Namen der Fantasie erkannten, dass unter dem Pflaster der Strand liegt, forderten sie wahrscheinlich nur das Outsourcing des Staates. Kleiner Tipp von mir für EDS: Die Domain pflasterstrand.de ist zwar schon vergeben, aber pflasterstrand.com, pflasterstrand.net und pflasterstrand.org sind noch frei. (Hal Faber) (jk)