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Was war. Was wird. Was die Geschichte so lehrt.

Der Warschauer Pakt ist Vergangenheit, aber die Sache mit der Atombombe längst nicht vorbei. Geschichte? Wir sind nur bedingt lernbereit, schaudert Hal Faber.

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"Die Atombombe ist kein diplomatischer Zauberstab." Ob Putin das auch so sieht?

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** In der letzten kleinen Wochenschau am Boss Day erwähnte ich ein Stück britischen Humors, der an Monty Python erinnerte und zu einem dieser Sketche zählen könnte, mit denen sich die alte BBC ins deutsche kulturelle Gedächtnis einbrennen konnte: In einer Installation vergammelten Premierministerin Liz Truss und ein Eisbergsalat um die Wette. Nun hat der Salat gewonnen und am Pult vor 10 Downing Street eine bewegende Rede gehalten. "Es ist nicht das Amt, das ich gesucht oder jemals erwartet habe, es innezuhalten, doch ich bin bereit, in dieser Krise dem Ruf der Nation zu folgen." Seine ganze Salatköpfigkeit werde er in den Dienst der Nation stellen, bekräftigte der Eisbergsalat. Doch leider dürfte das mit dem Salatkopf ein frommer Wunsch bleiben, denn bei den Buchmachern zeichnet sich mit 26:1 ab, dass Wuschelkopf Boris Johnson der nächste Premierminister eines wahlscheuen Landes wird. Eiligst ist er mit seiner Familie aus Elba, äh, der Dominikanischen Republik zurückgekehrt. Fraglich ist nur noch, ob Johnson die 100 Tory-Stimmen für seine Kandidatur bekommt. Zur Rettung des Salatkopfes sei gesagt, dass er für sich und die Seinen die Rückkehr in die EU betrieben hätte: Vor dem Brexit exportierte Großbritannien Eisbergsalatköpfe. Hinter der Paywall für kluge Frankfurter Köpfe steht ein bemerkenswertes Urteil, das sich auf die Bibel beruft: "Unfassbar, dass eine Partei in dem Wunsch, die eigene Haut doch noch zu retten, überhaupt erwägt, einen moralisch diskreditierten Wahlsieger zurückzuholen, der gerade erst durch den Rücktritt von mehr als fünfzig Ministern, Staatssekretären und anderen Regierungsmitgliedern aus dem Amt getrieben worden ist. Die Bibel liefert das passende Wort: 'Wie ein Hund, der zurückkehrt zu dem, was er erbrochen hat, / so ist ein Tor, der seine Dummheit wiederholt.'" Oder, um es etwas feiner mit Antonio Gramsci zu sagen: Die Geschichte ist eine große Lehrmeisterin, doch sie hat keine Schüler.

"Es ist nicht das Amt, das ich gesucht oder jemals erwartet habe, es innezuhalten, doch ich bin bereit, in dieser Krise dem Ruf der Nation zu folgen." Doch statt des Salatkopfes könnte der Wuschelkopf nach 10 Downing Street zurückkehren – business as usual halt.

*** Apropos Geschichte: Heute ist einer dieser Tage, an dem sie uns etwas lehren könnte. Vor 60 Jahren erließ ein Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof die Haftbefehle gegen vier leitende Spiegel-Redakteure und dazu noch eine Durchsuchungsanordnung der Redaktionsräume. Der Vorwurf lautete auf Landesverrat, weil im Blatt die Geschichte Bedingt abwehrbereit erschienen war. Der Artikel wertete das NATO-Manöver Fallex 62 aus und kam zu dem Schluss, dass das im Kalten Krieg entwickelte militärische Konzept eines atomaren Erstschlages nicht praktikabel war. Zudem sei die Bundeswehr mangelhaft ausgerüstet und von einer wirksamen Abschreckung durch eine konventionelle Verteidigung gegenüber dem Warschauer Pakt weit entfernt. Heute ist der Warschauer Pakt Geschichte, aber die Geschichte mit der Atombombe ist noch längst nicht vorbei, wie dieses Gespräch über die nukleare Erpressung durch den Diktator Putin hinter einer Paywall zeigt. Immerhin hat es eine wichtige Äußerung in den Titel des Textes geschafft: "Die Atombombe ist kein diplomatischer Zauberstab". Doch wenn Putin mit seiner Erpressung Erfolg haben sollte, sieht der Politologe Matthew Fuhrmann schwarz, der eine Geschichte der nuklearen Erpressung verfasst hat: "Viele Akteure auf der ganzen Welt beobachten, was Russland mit den nuklearen Drohungen erreicht oder eben auch nicht. Das wird Auswirkungen darauf haben, wie Regierungen in Zukunft über den Einsatz von Atomwaffen nachdenken. Und das könnte einige Länder einschließen, die derzeit keine Atomwaffen besitzen und versuchen, sie in Zukunft zu bekommen." Derweil stellt die Bundeswehr ganz ohne Atomwaffen auf eine neue Verschlüsselungstechnik namens Non Visible Data um: Bei ihr zerlegen Algorithmen Daten in kleinste Fragmente aus zufällig erscheinenden Nullen und Einsen. "Die so verschlüsselten Informationen sehen für Angreifer wie binärer Datenmüll aus, sind also sozusagen unsichtbar." Unsichtbarer Datenmüll, das ist Hokuspokus vom Feinsten, passend zum Global Encryption Day.

*** Auch von einer anderen Geschichte gab es diese Woche eine lehrreiche Fortsetzung, jedoch in einem ziemlich unverhofften Sinn. Wenn die Recherchen stimmen, überwachten der Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz die Firma Protelion, die IT-Sicherheitsspezialisten mit russischen Verbindungen. Diese Überwachung wurde vor der Spitze des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik geheim gehalten, was aufflog, als Jan Böhmermann seine Humorbombe zündete. Nun ist BSI-Chef Arne Schönbohm vorläufig des Dienstes enthoben, während der ebenfalls nicht informierte Vizepräsident Gerhard Schabhüser weiterhin die Geschäfte der Behörde leitet. Wer diese halb richtige oder halb falsche Entscheidung verstehen will, muss warten, bis weitere Details dem Spiegel bekannt werden. Arne Schönbohm bittet derweil inständig, dass ein förmliches Dienstaufsichtsverfahren gegen ihn geführt wird. Das Lachen aus dem Kreml über das "ZDF Magazin Royale" war bis Bonn zu hören.

*** Eine Show von einem anderen Kaliber ist da die Carolin Kebekus-Show. Sie berichtete über einen weiteren IT-Dienstleister namens Softqloud, einem Ableger der iranischen Firma Arvancloud. Die Recherchen von netzpolitik.org, Correctiv und der tageszeitung zeigen: "Das Unternehmen hilft dem islamistischen Regime in Teheran dabei, eine eigene nationale Internet-Struktur aufzubauen. Somit wird die Abschottung des Irans vom internationalen Netz erleichtert. Zahlungen für IT-Dienstleitungen an Arvancloud landen bei der deutschen Firma in Meerbusch. Softqloud ist quasi Arvanclouds Brückenkopf in Europa. Die Server der Firma in Meerbusch sind für den Iran von Bedeutung. Die gemeinsame Recherche zeigt: Sie bilden eine von insgesamt nur vier digitalen Verbindungsbrücken, die aus dem iranischen Netz ins Ausland führen." Neben der Abschottung Irans vom Internet besorgt Softqloud die Server in Deutschland und den Niederlanden, auf denen die Webseiten iranischer Botschaften gehostet werden. In der Carolin Kebekus-Show wurde Außenministerin Annalena Baerbock auf diese Sachverhalte angesprochen und meinte: "Das ist dramatisch, wenn eine deutsche Firma bei solchen Verbrechen helfen sollte". Mehr noch: Zu den neuen Sanktionen, die die EU gegen den Iran verhängt hat, "gehört auch ein Verbot der Ausrüstung, die im Iran zur Repression und zur Überwachung der Telekommunikation verwendet werden könnte." Das ist das Mindeste, was wir den mutigen Menschen im Iran und den vielen Demonstranten schuldig sind, die gestern in Berlin auf die Straße gingen. Vielleicht kümmern sich gar unsere beiden Nachrichtendienste so liebevoll um Softqloud und die verbandelte Rheinmond Information Technology GmbH, so wie sie mit Protelion umgegangen sind?

Der Robbenbaby-Roboter Paro. Empfindet er etwas? Und wenn ja, wie kann man das messtechnisch erfassen?

Was passiert, wenn ein Studienleiter für Gesundheit, Künstliche Intelligenz und Spiritual Care mit einem Starkstromtechniker eine Konferenz über Roboterliebe veranstaltet? Ich weiß es nicht, doch die lyrischen Vorstellungstexte lassen vermuten, dass sie ihren Spaß haben. "Schon heute wischen wir zärtlicher und häufiger über die gehärteten Panzerglasoberflächen unserer Smartphones als über die warmen Wangen unserer Lieben. Unsere Saugroboter haben Kosenamen, die wir uns leichter merken können als den Namen der vorherigen Putzhilfe." Wenn selbst der ehemalige Bundesdatenschützer Peter Schaar glaubt, dass Saugroboter eine Seele haben, ist es nur logisch, dass eine evangelische Akademie sich um die verlorenen Seelen kümmert und gleich nach der Morgenandacht der Frage nachgeht, wie heißer Sex mit kalter Technik funktioniert. Schon 1959 postulierte der Philosoph und ehemalige Kommunist Sidney Hook, dass Menschen das Recht haben werden, ihre Roboter zu heiraten. Wer erinnert sich noch an den Film Ich bin dein Mensch mit dem Hubot Tom? Sind soziale Roboter nur smarte Spielzeuge oder am Ende gar Wesen einer ganz eigenen Art? Steckt in ihnen nur kalte Technik oder ein Bewusstsein? Werden wir eines Tages im Alltag mit emotionalen Robotern zusammenleben, die echtes Mitleid empfinden und unseres verdienen? Was unterscheidet sie dann noch vom Menschen? Fragen über Fragen, die nur ein magazin für computer technik messtechnisch korrekt beantworten kann.

(tiw)