Regierungsberater: Massive Defizite bei Digitalisierung des Gesundheitswesens

Die Bundesregierung sollte eine Digitalisierungsstrategie entwickeln, meinen die Regierungsberater von der Kommission EFI.

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(Bild: THICHA SATAPITANON/Shutterstock.com)

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Die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland weise "massive Defizite" auf, schreibt die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) in ihrem Jahresgutachten. Für das weitere Vorgehen empfiehlt die EFI der Bundesregierung, eine Digitalisierungsstrategie zu entwickeln und umzusetzen; dabei sollten alle relevanten Akteure des Gesundheitswesens einbezogen werden.

Derzeit fehlten außerdem etablierte Standards für die Interoperabilität zwischen IT-Systemen, meint die EFI. Um telemedizinische Möglichkeiten stärker zu nutzen, müsse es für die Leistungserbringer "finanzielle Anreize" geben – auf diese Weise erbrachte Leistungen sollten der EFI zufolge in der Einführungsphase wie konventionell erbrachte Leistungen vergütet werden.

Digitale Technologien könnten die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessern, da "die zunehmende Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten in Verbindung mit modernen digitalen Analyseverfahren eine personalisierte Diagnostik und Therapie“ ermöglichen könne. Allerdings würden diese "Potenziale in Deutschland verschenkt“. Für mehr Expertise der Beteiligten sollen der EFI zufolge "digitale Elemente" in den Lehrplan des Gesundheitswesens integriert werden.

Im Vergleich hat Österreich bereits 2015 begonnen, seine elektronische Gesundheitsakte (ELGA) einzuführen. Dafür wurde eine rechtliche Grundlage für eine Opt-out-Regelung geschaffen, wonach für alle Österreicher eine ELGA angelegt wurde, die aber jederzeit über eine Widerspruchsstelle abgemeldet werden kann. So besäßen Mitte 2021 bereits 97 Prozent der Bürger eine ELGA. Als weiteres Beispiel wird im Jahresgutachten die französische Version der ePA aufgeführt, die Dossier Médical Partagé (DMP). Zwar wurde die DMP 2006 eingeführt, die Einrichtung verlief aber ebenfalls nicht reibungslos, sodass erst nach einer Reformierung 2018 ungefähr acht Millionen Menschen die DMP nutzen.

Deutschland verfügt im internationalen Vergleich lediglich über zwei technologiebasiertes Startup-Unternehmen, mit einem Wert von über einer Milliarde Dollar

(Bild: Expertenkommission Forschung und Innovation)

Die Digitalisierung im Gesundheitswesen werde dem Vorsitzenden der Expertenkommission, Prof. Dr. Uwe Cantner, zufolge durch viele verschiedene Akteure mit unterschiedlichen Verantwortlichkeiten eher behindert. Eine geringe Akzeptanz seitens der Leistungserbringer erschwere das Vorhaben ebenfalls. „Bei Gesundheitsdaten besteht, mehr als in anderen Bereichen, ein Spannungsverhältnis zwischen IT-Sicherheit und Datenschutz auf der einen und den Potenzialen der Datennutzung auf der anderen Seite“, erläutert Cantner. Verbesserungen bei der Gesundheitsversorgung und Neuerungen der personalisierten Medizin würden somit ausgebremst.

Die Expertenkommission befürwortet das im Koalitionsvertrag angekündigte Datennutzungsgesetz zur "besseren wissenschaftlichen Nutzung von Gesundheitsdaten". Ebenso finde sie gut, dass den Versicherten eine DSGVO-konforme elektronische Patientenakte (ePA) über ein Opt-out-Verfahren zur Verfügung gestellt werden soll. Dabei wird ein geringer administrativer Aufwand mit gleichzeitiger DSGVO-Konformität gefordert – die die Daten etwa für Diagnosen sollen demnach möglichst niedrigschwellig weitergegeben werden.

Anbieter von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) sollen im Rahmen der Zulassung derzeit verschiedene Nachweise über deren Wirksamkeit sowie bereits erfüllte Faktoren erbringen. Zwar sei dies für eine hochwertige Gesundheitsversorgung Voraussetzung, allerdings fordert die EFI den Einsatz flexiblerer und anpassbarer Studiendesigns und -anforderungen zu prüfen. Nach einer Zulassung sollten die Hersteller deren Funktionalität kontrollieren und die Krankenkassen deren medizinische Wirksamkeit kontinuierlich beobachten. Für eine breite Akzeptanz der DiGAs sollten Informationen über Handhabung und Mehrwert bereitstehen.

Das Jahresgutachten der EFI (PDF) behandelt noch einige weitere Themenfelder wie Forschung und Entwicklung, Klimapolitik, Plattformökonomie und den motorisierten Individualverkehr. In der EFI sitzen unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Uwe Cantner von der Friedrich-Schiller-Universität Jena Prof. Dr. Irene Bertschek vom ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH Mannheim, Prof. Dr. Carolin Häussler (Universität Passau), Prof. Dr. Katharina Hölzle (Universität Potsdam) und Prof. Dr. Till Requate von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

(mack)