Gesichtserkennung: Clearview soll Datenbrille fürs US-Militär entwickeln

Die US-Luftwaffe hat bei der umstrittenen Firma Clearview AI ein Pilotprojekt für eine Brille mit Augmented-Reality-Gesichtserkennung in Auftrag gegeben.

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(Bild: FrameStockFootages/Shutterstock.com)

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Das US-Militär hat mit dem New Yorker Unternehmen Clearview AI, das auf biometrische Gesichtserkennung spezialisiert ist, einen Vertrag für den Test einer Datenbrille mit technisch erweiterten Wahrnehmungsfähigkeiten ("Augmented Reality" – AR) abgeschlossen. Aus den entsprechenden Beschaffungsunterlagen der Air Force geht hervor, dass die Firma für 49.847 US-Dollar Optionen zum "Schutz von Flugplätzen mit Augmented-Reality-Gesichtserkennung" und dafür benötigten Brillen demonstrieren soll.

Der Hinweis auf das Vorhaben geht aus Dokumenten hervor, die Jack Poulson vom Transparenzportal "Tech Inquiry" auf Basis des US-Informationsfreiheitsgesetzes erhalten hat. Die Initiative ist demnach Teil des Forschungsprogramms Small Business Innovation Research (SBIR). Dies bedeutet, dass die Luftwaffe zunächst ausloten will, ob solche Anwendungen überhaupt praktikabel und sinnvoll sind.

Clearviews AR-Brillen führten Gesichtserkennungs-Scans durch, um Identifizierte zu überprüfen und Unbefugten den Zutritt zu Militärlagern und Flugplätzen zu verwehren, erläuterte ein Sprecher des Air Force Research Laboratory gegenüber dem US-Magazin Gizmodo. Das Gerät zur Identitätsüberprüfung könne "zu 100 Prozent freihändig" getragen werden. Es ermögliche so den "Verteidigern, ihre Waffen griffbereit zu halten, den Abstand und die Distanz zu Dritten zu erhöhen und den autorisierten Zugang zur Basis durch schnelle und präzise Gesichtsbiometrie zu bestätigen". Dies führe im Idealfall zu einer "erhöhten Sicherheit an Eingangskontrollpunkten" und so für Stützpunkte insgesamt. Manuelle Ausweiskontrollen entfielen, der Verzicht auf große, fest installierte Kameras spare Kosten.

Clearview werde zunächst eine dreimonatige Studie durchführen, erklärte der Sprecher. In deren Rahmen würden weder "Brillen oder Einheiten" noch Prototypen "unter Vertrag geliefert". Über einen möglichen breiteren Einsatz der Technik soll so erst nach dem Test entschieden werden.

In einem von der Air Force mit herausgegebenen Werbeflyer schreibt Clearview, dass in der Zeit, die für das Scannen eines Ausweises am Eingang einer Militäreinrichtung benötigt wird, "ein Krimineller oder Terrorist in diesem kurzen, aber kritischen Moment eine Pistole, ein Messer oder eine Waffe ziehen, den Verteidiger töten und sich Zugang zur Basis verschaffen kann".

Die AR-Brille erhöhe hier die "Sicherheitsdistanz" und erspare den Wachleuten Zeit bei der Überprüfung großer Menschenmengen, argumentiert die Firma. Ferner sei es möglich, Personen auf Abstand zu halten, die möglicherweise mit Krankheiten infiziert sein könnten.

Das beschriebene System wäre prinzipiell eng angelegt an die Funktionsweise der bekannten App zur Gesichtserkennung von Clearview. Nutzer laden damit Bilder hoch, die dann mit der Gesichtsdatenbank des Unternehmens abgeglichen werden. Schon 2020 berichtete die New York Times, dass die entsprechende Anwendung einen Code enthält, der die Kopplung mit AR-Brillen ermöglicht. User könnten mit so einem Nasengestell also durch die Gegend laufen und alle Personen identifizieren, von denen bereits Aufnahmen in der Clearview-Datenbank gespeichert sind.

Obwohl die Firma sich zu diesem Thema bedeckt hält, hat sie in der Vergangenheit bereits mit einschlägiger Hardware experimentiert. Buzzfeed will herausgefunden haben, dass Clearview Gesichtserkennung in Echtzeit bei einem ähnlich gelagerten Produkt, der Insight Camera, einsetzt. Außerdem sei Software für zwei tragbare Brillen getestet worden.

Der Gründer des Unternehmens, Hoan Ton-That, betonte gegenüber Gizmodo, dass die mit der Air Force getestete Technologie keinen Zugriff auf die bereits gesammelten rund zehn Milliarden Gesichtsbilder beinhalte. Die Brille befinde sich noch "in der Forschungs- und Entwicklungsphase". Die Implementierung sei auf einen spezifischen und kontrollierten Datensatz ausgelegt.

Die Clearview-App setzten bereits weltweit Strafverfolgungsbehörden wie das FBI oder die Einwanderungspolizei US Immigration and Customs Enforcement (ICE) ein. Kritiker monieren, die derzeitige Gesichtserkennungstechnologie sei unzuverlässig, fehleranfällig und könnte leicht missbraucht werden. Voriges Jahr warfen etwa die Aufsichtsbehörden in Frankreich, Österreich, Italien, Griechenland und Großbritannien dem Unternehmen vor, gegen europäische Datenschutzgesetze zu verstoßen. Bereits ergangenen Löschaufforderungen sollen teils Geldbußen folgen.

Die Air Force testet derzeit den Einsatz von AR-Brillen zur Unterstützung der Ausbildung und des Betriebs von Flugzeugen. Sie experimentiert ferner mit der Technik im Zusammenhang mit Waffentraining und virtuellen Kommandozentralen.

Voriges Jahr vergab zudem die US-Armee einen Produktionsauftrag für AR-Brillen inklusive automatisierter Gesichtserkennung auf Basis der Hololens 2 an Microsoft. Mit dem 22-Milliarden-Dollar-Programm sollen zunächst rund 120.000 Soldaten ausgerüstet werden. Jüngsten Berichten zufolge hat die Luftwaffe aber erst 5000 solcher Geräte auf Basis des Integrated Visual Augmentation System (IVAS) geordert. Tests für die Zuverlässigkeit im Kampfgeschehen starteten nicht vor Mai, heißt es, die Technik werde generell wohl erst im Herbst tatsächlich verwendbar sein.

(bme)