Gesichtserkennung: Kritik an Schweizer Bahn wegen "Kundenbespitzelung"

57 Schweizer Bahnhöfe sollen Videokameras zur Gesichtserkennung erhalten. Das soll auch den SBB-Umsatz steigern helfen. Datenschützer sehen erhebliche Risiken.

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(Bild: ImageFlow/Shutterstock.com)

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Von
  • Tom Sperlich
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Reisende und Passanten auf vielen Bahnhöfen der staatseigenen Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) werden bereits vielfach gefilmt und getrackt, sei es mit Hunderten Videokameras, sei es beim Benutzen der Fahrkartenautomaten oder mithilfe eines Systems zum Messen von Personenströmen. Im Laufe dieses Jahres soll an einem ersten Bahnhof, in Schaffhausen, ein weiteres Überwachungssystem hinzukommen: eines mit anonymisierter Gesichtserfassung. Dies berichtete in der vergangenen Woche das Schweizer Konsumentenschutz-Magazin K-Tipp, dem nach eigenen Angaben ein entsprechendes Dokument vorliegt.

Das Magazin hatte einen Beschaffungsplan für ein "Kundenfrequenz-Messsystem 2.0" auf einer Ausschreibungsplattform entdeckt, welches zentral ein Gesichtserfassungssystem einschließt. Der Einsatz von Kamerasystemen mit Gesichtserfassung und -erkennung im öffentlichen Raum wird auch in der Schweiz seit geraumer Zeit diskutiert und stößt großteils auf Ablehnung.

Das neue System soll nicht nur wie bisher die Bewegungen der Personen im Bahnhofsbereich tracken. Die SBB wollen außerdem das (Kauf-)Verhalten der Passanten in den zahlreichen Ladengeschäften und Lokalen größerer Schweizer Bahnhöfe beobachten. Die so gewonnenen Einblicke – nebst Verbindung mit anderen Quellen wie Wetter- und Fahrgastdaten – will die Bahn mit den Daten des Swisspass (eine SBB-Kundenkarte mit Bild) verknüpfen.

Erfasst werden sollen von den meist verdeckt angebrachten Kameras Alter und Geschlecht der Personen, die Größe, mitgeführtes Gepäck und Gegenstände wie Kinderwagen, Rollstuhl, Fahrrad oder begleitende Tiere. Die SBB interessieren sich dafür, wie lange Reisende sich im Bahnhof aufhalten, welche Läden Passagiere besuchen und wie viel Geld sie dort ausgeben. Auch die Daten der Ladenkassen wollen die SBB mit den Bewegungsdaten verbinden.

Damit soll sich für die Bahn laut K-Tipp die "Abschöpfungsrate" pro Passagier erhöhen. Denn je höher der Umsatz der Läden in den Bahnhöfen, desto höher fällt die Miete aus, die diese an die SBB entrichten müssen. Die Ladenbetreiber sollen ebenfalls Zugang zu den Informationen erhalten.

Die erste Variante des Kundenfrequenz-Messsystems war wohl 2017 in einzelnen Bahnhöfen installiert worden; sie zeichnete die Position von Personen auf und wies diesen zusätzlich zu ihrem Standort und dem Zeitpunkt der Aufnahme eine Identität zu, die über den gesamten Erfassungszeitraum konstant bleibe, berichtete Inside-IT.

Um die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes einzuhalten, verlangt die SBB vom Systemlieferanten, dass die Daten anonymisiert erhoben werden müssen. Allerdings solle eine Person-ID vergeben werden, damit Personen "während der gesamten Aufenthaltsdauer im Bahnhof eindeutig erkannt werden können". Schon damals – wie auch heute – betont die SBB, dass trotz solch einer "eindeutigen Identifikation der Person" Rückschlüsse auf Einzelpersonen nicht möglich seien. In einem neueren Artikel schreibt Inside-IT ferner, dass der Datenschutz gewährleistet bleibe. Demnach beteuert die SBB, es werde nur mit aggregierten Daten gearbeitet. Die Informationen der Ladenkassen würden nur "allgemein genutzt" und das Einkaufsverhalten nicht mit den Daten des Swiss­pass verknüpft.

Der Bahn-Konzern beteuert, die Person-ID habe nichts mit der Person zu tun, sondern sei eine rein technische Nummerierung. Es würden keine Daten verknüpft, welche Rückschlüsse auf die Person zulassen, und es gebe keine Verknüpfung mit dem Swisspass oder Mobile-Apps. Der Datenschutz sei gewährleistet. Es werde nichts beschafft und eingesetzt, das nicht datenschutzkonform sei.

Der Eidgenössische Datenschützer (EDÖB), Adrian Lobsiger, sagte laut K-Tipp: Aufgrund der Vielzahl der erhobenen Daten und des Risikos der Re-Identifikation von Personen bestehe eine erhebliche Gefahr für die Persönlichkeit der Passanten. Der EDÖB selbst bestätigt, dass er von der SBB "im Oktober 2022 über dieses Projekt informiert" wurde. Die SBB "sicherten dem EDÖB zu, dass die Daten nicht personenbezogen verwendet werden, und dass sie eine Datenschutzfolgenabschätzung zum Projekt durchführen werden. Der EDÖB wird das Projekt weiterhin aufsichtsrechtlich begleiten."

(tiw)