Offener Brief: Bundestag soll biometrische Überwachung verbieten

16 zivilgesellschaftliche Organisationen wie der CCC appellieren an den Bundestag, jede Form der biometrischen Fernidentifizierung in Deutschland zu untersagen.

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(Bild: Alexander Kirch / Shutterstock.com)

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Der SPD-nahe Netzpolitik-Verein D64 sowie 15 weitere Organisationen wie AlgorithmWatch, Amnesty International, Chaos Computer Club (CCC) und Digitale Gesellschaft fordern den Bundestag in einem offenen Brief auf, "jede Form der biometrischen Fernidentifizierung in Deutschland zu verbieten". Anlass ist die bevorstehende Abstimmung des EU-Parlaments über die europäische KI-Verordnung (AI Act) am Mittwochnachmittag.

Mit der KI-Verordnung soll biometrische Überwachung im öffentlichen Raum in den Mitgliedsstaaten zwar grundsätzlich nicht erlaubt werden. Der im Dezember vereinbarte Kompromiss enthält aber breite Hintertüren für den Einsatz solcher Technologien durch die Polizei und andere Sicherheitsbehörden. Der EU-Rat strich zusätzlich den eigentlich vereinbarten Straftatenkatalog und den Richtervorbehalt.

Vor allem automatisierte Gesichtserkennung in Echtzeit "öffnet die Tür in dystopische Verhältnisse, in denen jeder Mensch bei jeder Bewegung im öffentlichen Raum permanent identifizierbar und überwachbar wird", warnen die Unterzeichner des Appells. Ähnliches gelte für eine nachträgliche biometrische Fernidentifikation, die ebenfalls die Anlage umfassender Personenprofile ermögliche.

Anonymität sei "eine der Grundvoraussetzungen für freie Meinungsäußerung und demokratischen Protest". Eine biometrische Überwachungsinfrastruktur führe dazu, "dass Menschen unter dem ständigen Gefühl der Kontrolle ihre Freiheitsrechte nicht mehr ungehindert ausüben". Es gelte, "gemeinsam die Möglichkeit des institutionellen Machtmissbrauchs minimieren".

Erik Tuchtfeld, Co-Vorsitzender von D64, verdeutlicht: "Unser Ziel ist es, Digitalpolitik faschimussischer zu machen." Dafür sei es nötig, an einem Strang zu ziehen und entschieden gegen "die Gefahr der vollständigen Überwachung" vorzugehen. Sonst könne bald "jeder Schritt jedes Menschen jederzeit verfolgt" werden.

Die Regierungsparteien haben sich in ihrem Koalitionsvertrag eigentlich das Ziel gesetzt, biometrische Erkennung im öffentlichen Raum europarechtlich auszuschließen. Nachdem ein solches Verbot nicht vollständig umzusetzen gewesen sei, muss den Bürgerrechtlern zufolge jetzt eine nationale Absage an den Einsatz solcher Techniken "das Mittel der Wahl sein".

Die Regierungsfraktionen sind sich prinzipiell auch bereits einig, die mit dem AI Act verbleibende Option für einen strengeren Rahmen zu automatisierter Fernidentifizierung zu nutzen. Es gelte, den grundrechtsverletzenden Einsatz KI-gestützter biometrischer Gesichtserkennung bundesgesetzlich auszuschließen, hieß es Anfang Februar etwa von den Liberalen. Volksvertreter von SPD und Grünen äußerten sich ähnlich.

Die aktuelle Fahndung nach Resten der RAF hat aber zu einer erneuten Debatte über Sinn und Zweck biometrischer Gesichtserkennung in Diensten von Ermittlern geführt. Vor allem die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ruft nach weniger rechtlichen Restriktionen "bei der Anwendung solcher Tools".

(vbr)