MIT Technology Review 11/2017
S. 68
Fokus
Quantentechnik

Verdammt seltsam

Die merkwürdigen Phänomene der Quantenmechanik könnten das Tor zu einer ganz neuen Welt öffnen. Die EU investiert daher eine Milliarde Euro in die Entwicklung von Quantentechnologie.

Mark Everett hat seinen Vater kaum gekannt. Hugh Everett III starb an einem Herzinfarkt, als Mark 19 Jahre alt war. Der verschlossene Kettenraucher, der zu Hause wenig sprach, der immer korrekt gekleidet am Tisch saß mit dunklem Anzug und Krawatte, hat versucht, eines der größten Rätsel der Quantenmechanik zu lösen – und ist wahrscheinlich daran zerbrochen. Gut 20 Jahre später steht Mark, mittlerweile ein erfolgreicher Rockmusiker, in Princeton und lässt sich dieses Rätsel vorführen. „Wow“, sagt er schließlich leise. „Das ist es? Das haut mich wirklich um.“

Carlo Rovelli von der Universität Marseille sucht nach neuen Interpretationen für Phänomene der Quantenphysik, wie die seltsame Beziehung zwischen zwei verschränkten Photonen, die sich an weit voneinander entfernten Orten befinden. Foto: Ian Hanning/Rea/Laif

Wie unter einem Brennglas verdichtet die Szene in dem preisgekrönten Dokumentarfilm „Parallel Worlds, Parallel Lives“ die persönliche Tragik Everetts: Der Mann hat gewissermaßen versucht, das Kleingedruckte in der Gebrauchsanleitung für das Universum zu entziffern – aber kaum jemand hat Notiz davon genommen. Nicht einmal sein Sohn wusste, welch grundlegende Fragen sein Vater bearbeitet hat. Was Mark Everett „umgehauen“ hat, ist ein sogenanntes Doppelspalt-Experiment, in dem ein stark abgeschwächter Laser einzelne Photonen auf einen undurchsichtigen Schirm mit zwei Schlitzen schießt. Eine Kamera hinter dem Schirm registriert, wo die Photonen auftreffen. Aber statt zwei heller Streifen registriert die Kamera hinter dem Schirm ein verschmiertes Muster mit einem hellen Fleck in der Mitte. Die Lichtteilchen verhalten sich wie Wellen – und zwar jedes einzelne von ihnen. Als ob jedes Photon an zwei Orten gleichzeitig wäre.