MIT Technology Review 11/2017
S. 96
Fundamente
Jubiläum

Kleiner Piepser, große Wirkung

Mit Sputnik 1 begann die Ära der Raumfahrt. Heute tritt die Satellitentechnologie in ein neues Zeitalter ein: mit Billigsatelliten vom Fließband.

Krimsekt perlte in den Gläsern der Gäste in der sowjetischen Botschaft in Washington. Amerikanische und russische Wissenschaftler hatten ihre Gespräche über Forschungsvorhaben des „Internationalen Geophysikalischen Jahres der UNO“ beendet. Nun wollten sie sich dem Bankett zuwenden. Da platzte die Nachricht einer Weltsensation in die Runde: Ein russischer Satellit umkreist die Erde!

An diesem 4. Oktober 1957 hielt die Menschheit den Atem an: Mit dem ersten von Menschen geschaffenen Himmelskörper begann das Zeitalter der Raumfahrt – und der erbitterte Wettlauf zwischen den beiden Supermächten um die Vorherrschaft im All.

Freiwillige werden in den USA zu Satelliten-Spottern ausgebildet. Foto: Ullstein Bild

Während die Russen klatschten, waren die Amerikaner geschockt. Zum Gefühl, vom „Klassenfeind“ technologisch überrundet worden zu sein, kam die Furcht vor einer militärischen Bedrohung. Denn der Satellit namens „Sputnik“ („Begleiter“) war vom kasachischen Baikonur aus mit der Interkontinentalrakete R-7 „Semjorka“ in die Umlaufbahn gebracht worden. Und so wurde überall im Westen darüber spekuliert, was es bedeutete, wenn der Gegner jeden Punkt der Welt mit Raketen erreichen konnte, die womöglich Atombomben trugen.

Sputnik selbst war denkbar harmlos. Die mit Aluminiumblech verkleidete Kugel mit vier Antennen glich einem voluminösen Gartengrill. Obgleich 83,6 Kilogramm schwer, taugte sie nur für ein rauschendes „Piep, piep, piep“ – als Beweis, dass sie sich tatsächlich im Orbit befindet. Ihre Silber-Zink-Batterien versorgten einen 1-Watt-Sender, der unablässig im Kurzwellenbereich bei 20 bis 40 MHz funkte – einer Frequenz, die jeder Amateurfunker empfangen konnte.

Laut Radio Moskau umkurvte er in 900 Kilometern Höhe die Erde. Diese Höhenangabe brachte Militärs ins Schwitzen. Sie fürchteten, die Russen könnten über einen Supertreibstoff für die Trägerrakete verfügen, um einen so schweren Satelliten derart hoch zu schießen.

Vier Antennen, ein Signal: „Piep“. Foto: Shutterstock

Mitten im Rätselraten wurde die Welt erneut aufgeschreckt. Drei Tage nach dem Sputnik-Start stellten Wissenschaftler der Uni Cambridge fest, dass die Bahnhöhe nur noch gut 300 Kilometer betrug. „Sputnik stürzt ab!“, titelten die Zeitungen. Moskau dementierte. Der Satellit blieb tatsächlich oben.

Eine Erklärung für die widersprüchlichen Befunde präsentierten schon 48 Stunden später Wissenschaftler der Universitätssternwarte Bonn. Wenn sich Sputnik 1 der Messstation näherte, lag die Frequenz nämlich etwas höher, als wenn er sich von ihr entfernte. Diesen sogenannten Doppler-Effekt kann man bei jedem vorbeifahrenden Polizeiauto hören, dessen Sirene zuerst höher und dann tiefer klingt. Aus der Frequenzänderung bei jedem Durchlauf ließ sich die Geschwindigkeit des Satelliten errechnen – und damit indirekt auch seine Höhe. Bei den Berechnungen erwies sich die tatsächliche Umlaufbahn als lang gestreckte Ellipse. Ihr höchster Punkt lag bei 950, ihr erdnächster bei 250 Kilometern. Über England betrug die Höhe gerade 300 Kilometer. Radio Moskau hatte dies verschwiegen – und fünf Tage lang die Welt genarrt.

Die voreiligen britischen Astronomen wurden verspottet und stellten ihre Messungen ein. Die Bonner blieben bis zum 27. Oktober am Ball. Dann versagte die Bordbatterie von Sputnik. Dennoch hatte sich eine schier unübersehbare Fülle von Messergebnissen angesammelt. Bei der Auswertung stießen die Forscher schon bald auf neue Erkenntnisse für die Weltraumforschung: Als sie nämlich berechneten, wie stark der Satellit durch die dünne Luft in der hohen Erdatmosphäre tatsächlich abgebremst wurde, war die Überraschung groß: Die irdische Lufthülle in einer Höhe von 220 Kilometern war neunmal dichter als bisher angenommen.

Welche Wirkung diese relativ dicke Luft hat, zeigte sich beim vorzeitigen Ende von Sputnik 1 in den ersten Januartagen 1958. Im Verlauf seiner 60 Millionen Kilometer langen Reise um den Erdball tauchte der Satellit in dichtere Zonen der Atmosphäre ein – und verglühte spurlos in einem meteorgleichen Feuerschweif.

Die Antwort der USA auf die „Sputnik-Schmach“ erfolgte erst Anfang 1958 mit einem 8,3 Kilogramm schweren, zylinderförmigen Winzling namens „Explorer 1“. Moskau hatte zu diesem Zeitpunkt schon zwei davon in der Umlaufbahn.

Heute umkreisen rund 1400 aktive Satelliten die Erde, ein Viertel davon hat militärische Aufgaben. Gefährdet sind Satelliten vor allem durch Weltraumschrott und Hacker. Der Sicherheitsfirma Kaspersky zufolge kapern sie die von Satelliten bereitgestellte Internetverbindung, um Daten wie Passwörter abzugreifen.

Solchen Gefahren zum Trotz nehmen sowohl die Zahl ziviler als auch militärischer Satelliten zu. Allein das Unternehmen OneWeb will bis 2018 ganze 648 Satelliten in der Umlaufbahn haben, um einen weltweiten Internetzugang aus dem All zur Verfügung zu stellen. Um die enorme Nachfrage zu befriedigen, wandelt sich die Raumfahrt rapide. Erstmals werden Satelliten in Montagelinien produziert, wie man sie sonst eher von der Fließbandfertigung im Automobilbau kennt. Der Stückpreis soll dann statt bei einigen Hundert Millionen Euro nur noch bei einer Million liegen. JOSEPH SCHEPPACH