Test Alfa Romeo Stelvio Sprint 2.0 Turbo 16V: Hoher Einstieg

Alfa Romeo feierte mit der Giulia 2016 ein Comeback als Hersteller verführerischer sportlicher Fahrzeuge. Besser verkauft sich aber das SUV Stelvio. Zu Recht?

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Alfa Romeo Stelvio Sprint 2.0 Turbo 16V

(Bild: Christian Lorenz)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Christian Lorenz
Inhaltsverzeichnis

Die Giulia hat den Mythos Alfa Romeo neu erfahrbar gemacht. Seit wir sie als Testwagen hier hatten geht sie uns nicht mehr aus dem Sinn. Nur ganz wenige Fahrzeuge konnten einen solchen Grad an Fahrfreude vermitteln. In dieser Disziplin konnten weder ein BMW 3er (Test), noch mehr als doppelt so teure Luxussportwagen mehr bieten. Um so unverständlicher und ungerechtfertigter erscheint es uns, dass die Giulia nur vergleichsweise wenige Kunden findet und Alfa stattdessen ein Mehrfaches von seinem SUV Stelvio verkauft. Ein Test eines Stelvio mit 200-PS-Einstiegsbenziner soll zeigen, ob der SUV tatsächlich das bessere Paket ist als die Sportlimousine.

Eigentlich mag ich SUV nicht. Aber schon beim Verlassen des Produktionsgebäudes nimmt mich die Stelvio-Silhouette in noch hellerem Blau ein als bei der der ehemaligen Test-Giulia. Das „Blu anodizzato“ (Blau eloxiert), stiehlt dem ebenfalls wunderschönen „Blu Monte Carlo“ von damals die Schau. Wenn es auch vielleicht auf Dauer zu auffällig sein könnte. Die Giulia-Formensprache mit ihren sinnlichen Rundungen funktioniert jedenfalls in unseren Augen auch in der Vollfettstufe Stelvio - zumindest in der drittteuersten Ausstattungslinie Sprint mit glanzschwarzer Lackierung für Riesenalus und Chrom Details.

Viel wichtiger ist jedoch das Fahren. Aber ist das wirklich so? Manchmal muss man einen Schritt zurückgehen. Denn beim Einsteigen entdecke ich den Grund, warum im Falle des Falles wohl auch ich gezwungen sein würde, von der Giulia zu träumen, aber den Stelvio zu bestellen.

Test Alfa Romeo Stelvio Das Äußere (10 Bilder)

Der Stelvio ist 4,70 m lang, 1,70 m hoch und ohne Spiegel 1,90 m breit. Das entspricht nahezu den Maßen eines BMW X3.
(Bild: alle Christian Lorenz
)

Meine 84-jährige Mutter mit zunehmenden Gehbeschwerden hat mich über den Generationenvertrag als Privatchauffeur verpflichtet. Bei meiner Stelvio-Vorführung bestätigt sie meine Vermutung: „Ja, so ein tolles Auto. Da steigt man wunderbar ein und aus.“ Sie wiederholt das die ganze Woche, bei jedem Ein- oder Ausstieg. Meistens noch mit dem Hinweis, dass sie niemals geglaubt hätte, dass meine Lieblingsmarke Alfa Romeo so tolle Autos bauen könne. Für mehr Fahrfreude könnte ich diese Begeisterung meiner Mutter unmöglich ignorieren und eine Giulia kaufen.

Zumal ich im Giulia-Kofferraum mit seinen 480 Litern auch den Klapprollator nicht verstauen könnte - weniger aufgrund des Volumens, vielmehr liegt die Ursache in einer engeschränkten Zugänglichkeit. Der Stelvio hat einen gut nutzbaren Kofferraum mit 525 bis 1600 Litern. Die Rücksitzlehnen sind im Verhältnis 40:20:40 geteilt und komfortabel per Hebelzug vom Kofferraum aus klappbar.

Ein BMW X3 liegt beim Kofferraumvolumen auf exakt dem gleichen Niveau. Beim Sitzkomfort insbesondere im Fond schien mir der Alfa sogar Vorteile zu haben. Die Verarbeitung und Materialauswahl des Stelvio-Cockpits entlockt einem einen lächelnden Seufzer spontanen Wohlbefindens. In der oberen Mittelklasse muss sich Alfa nicht mehr den selbsternannten süddeutschen Premiumwächtern geschlagen geben.

Zum einen kann auch dort die Verarbeitungsqualität schon lange nicht mehr uneingeschränkt mit dem Preisniveau Schritt halten. Zum anderen gefällt das Alfa-Interieur mit einer zurückhaltenden Harmonie und Ästhetik, wo die deutsche Premium-SUV-Landschaft manchmal mit Gestaltungs- und Materialorgien optisches Sodbrennen erzeugt. Zugegeben der Touchscreen für das Infotainment ist mit 8,8 Zoll im Vergleich zur Konkurrenz geradezu mickrig.

Im Alfa ist der Bildschirm aber nahtlos in die obere Linie des Armaturenbretts integriert. Deaktiviert wirkt er wie ein schwarzes Zierteil, das im Testwagen gut mit dem aufpreispflichtigen Lederbezug des oberen Bereichs von Türen und Armaturenbrett hamoniert. Alles, was wie Aluminium aussieht, fühlt sich auch so an. Ein BMW X3 erschlägt einen stattdessen mit einer Flut aus Plastikalu und einem grob geschnittenen Bildschirmaufsatz.

Der Stelvio würde in meinen Augen noch besser zur Geltung kommen, wäre nicht die Lederfarbe Weiß gewählt worden. Mich erinnert das immer an High-Society-Zahnarztpraxen, aber das ist natürlich Geschmackssache. Objektiv mehr Qualität im Interieur bietet nur Volvo. Die chinesische Marke mit schwedischen Wurzeln liefert mit dem XC60 den Klassensieger in der Kategorie Verarbeitung und Materialauswahl.

Der Raumkomfort vorne und hinten ist sehr gut. Die hintere Sitzbank stellt genügend Oberschenkelauflage zur Verfügung. Ein Bodenabstand des Sitzrahmens ermöglicht es, die Füße bequem auszustrecken. Leider verfügt unsere „Sprint“-Version aber nicht über die Sportsitze der „Veloce“-Ausstattung, die die Giulia damals hatte. Mit elektrischer Justierbarkeit von Lehnenwangenbreite und Sitzflächenneigung gehören Sie zum besten, was die obere Mittelklasse an Sitzmöbel zu bieten hat. Ich könnte daher nicht auf das 2000 Euro teure Veloce-Paket verzichten.

Die Standardsitze bieten in etwa so viel Seitenhalt und Bequemlichkeit, wie die aufpreisfreien Sitze in einem BMW X3. Sie haben also sowohl bei der ergonomischen Unterstützung für Langstrecken als auch insbesondere im Seitenhalt spürbare Defizite. Eine tadellose Sitzposition ist jedoch auch mit dem Standard-Gestühl in Sekunden gefunden, in der „Sprint“-Ausstattungslinie des Testwagens sogar elektrisch und für den Fahrer auf drei Memorytasten speicherbar.

Es ist natürlich absolut unmodern, auf Rundinstrumente statt Bildschirme zu starren. Im Stelvio mit chromumrandeten, fein gezeichneten Uhren erfährt der Automobilliebhaber, wie angenehm heutzutage Verzicht sein kann. Schwerer fällt es, auf ein Head-up Display zu verzichten.