Atomkraft: 10 Jahre Super-GAU in Fukushima und Deutschlands Kernkraftwendewende

Seite 6: Missmanagement und ein Held

Inhaltsverzeichnis

Baukräne am AKW Fukushima Daiichi.

(Bild: IAEA)

Der damalige Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) betonte in der Bundestagsdebatte am 9. Juni 2011, anders als die bisherigen Atom-Katastrophen wie Tschernobyl sei die Katastrophe von Fukushima die Erste, die nicht auf menschliches, sondern auf technisches Versagen zurückzuführen sei. Gut vier Jahre später nahmen sich der Professor für Bau- und Umweltingenieurwesen Costas Synolakis von der USC Viterbi School of Engineering und PhD Utku Kanoğlu von der TU des Nahen Ostens in der Türkei Regierungs- und Unternehmensberichte zum Super-GAU von Fukushima vor. Sie resümierten, dass Arroganz und Unwissenheit, Designfehler, regulatorische Fehler und unsachgemäße Gefahrenanalysen in Fukushima am Werk gewesen seien. Es habe eine Abfolge von industriellen, regulatorischen und technischen Ausfällen gegeben.

Laut Synolakis und Kanoğlu gab es Konstruktionsprobleme, die zu der Katastrophe geführt hätten und die lange vor dem Erdbeben hätten behoben werden müssen. In den vier beschädigten Atomkraftwerken Onagawa, Fukushima Daiichi, Fukushimi Daini und Toka Daini wurden durch den Tsunami laut der Studie 22 der insgesamt 33 Reservedieselgeneratoren zerstört, darunter 12 von 13 in Fukushima Daiichi. Von den insgesamt 33 Notstromleitungen zu externen Generatoren wurden alle bis auf zwei vom Tsunami zerstört.

Der Betreiber Tepco habe die Klippe am Standort des AKW Fukushima Daiichi abtragen lassen, um einfacher und kostengünstiger das Wasser aus dem nahen Meer nutzen zu können. Dabei habe Tepco potenzielle Tsunamihöhen unterschätzt und sich auf interne fehlerhafte Daten sowie unvollständige Modellierung gestützt. Zudem habe Tepco und Warnungen japanischer Wissenschaftler ignoriert, dass größere Tsunamis möglich seien.

Vor der Katastrophe habe Tepco geschätzt, dass der Wasserstand in Fukushima Daiichi höchstens auf 6,1 Meter ansteigt. Die Zahl scheint laut Synolakis und Kanoğlu auf der Annahme von Erdbeben der Magnitude 7,5 zu basieren, obwohl bereits Erdbeben der Magnitude 8,6 entlang der betreffenden Küste aufgezeichnet worden waren. Während der Katastrophe 2011 erreichten die Tsunamiwellen in Fukushimi Daiichi jedoch eine Höhe von schätzungsweise 13 Meter.

Das Erdbeben in Chile Ende Februar 2010, das die Magnitude 8,8 erreichte, hätte für Tepco eine letzte Chance sein können, einen Unfall in Fukushima zu vermeiden, sagte Synolakis. Tepco habe zwar Fukushima Daiichi erneut sicherheitsbewertet, sei dabei aber von 5,7 Meter als maximal mögliche Höhe eines Tsunamis ausgegangen; und dies wiederum gegen die veröffentlichten Empfehlungen einiger seiner eigenen Wissenschaftler.

Synolakis machte als ein Problem aus, dass Tepco alle Studien intern durchgeführt habe. Auch fehle es weltweit an Standards für eine Ausbildung, die auf Gefahren durch Tsunami gerichtet ist und eine spezielle Zertifizierung von Ingenieuren und Wissenschaftlern, die Gefahrenstudien durchführen – und ebenso für die Regulierungsbehörden, die sie überprüfen.

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Das benachbarte AKW Fukushima Daini unterscheidet sich von Daiichi laut Untersuchungen des Öko-Instituts , dass wesentliche Einrichtungen des Zwischen- und Nebenkühlwassersystems in Nebenkühlwassergebäuden untergebracht sind. Sie seien damit deutlich robuster auch gegenüber "auslegungsüberschreitenden Überflutungsereignissen". Die an Daini gemessenen Erdbebenbeschleunigungen sowie die Höhe des Tsunami seien "signifikant geringer als am Standort Fukushima Daiichi" gewesen.

Tepco hatte inzwischen auch eingestanden, dass die Belegschaft des Atomkraftwerks nicht für den Fall trainiert gewesen war, wenn der Strom komplett ausfällt.

Die Fehleinschätzungen der Tepco-Führung hatte sich bis zum Katastrophentag selbst fortgesetzt. Masao Yoshida, Direktor des Atomkraftwerks von Fukushima Daiichi, setzte sich in den ersten Stunden nach dem Erdbeben über eine Anordnung seiner Arbeitgeber hinweg. Tepco wollte das Einpumpen von Meerwasser zur Kühlung der beschädigten Reaktoren anhalten, bis der damalige Ministerpräsident Naoto Kan über die Lage informiert sei. Yoshidas für Japan ungewöhnliche Gehorsamsverweigerung verhinderte Schlimmeres. Er setzte die Kühlung fort.

Yoshida wurde zunächst gemaßregelt, aber später von der Presse als Held gepriesen. "Ich dachte mehrmals, ich würde sterben", sagte er später über die dramatischen Stunden. Mitglieder des Sonderausschusses des japanischen Parlaments, der den Super-GAU untersucht hatte, glauben, dass ohne Yoshidas Entschlossenheit die AKW-Arbeiter nie die Kraft gehabt hätten, gegen die Auswirkungen des Unfalls anzugehen. Yoshida starb im Juli 2013 an Speiseröhrenkrebs.

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(anw)