Batterien für Elektroautos: Natrium-Zellen auf dem Vormarsch?

Natrium-basierte Traktionsbatterien kosten weniger als LFP-Zellen, einige Eigenschaften sind besser. Hat LFP da noch eine Chance?

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BYD Seagull

Das bekannteste Elektroauto, das in diesem Jahr mit Natrium-basierten Traktionsbatterien startet, ist der Kleinstwagen BYD Seagull. Für die Ausführung mit 30 kWh Energieinhalt werden umgerechnet rund 11.000 Euro verlangt. Ob überhaupt und zu welchem Preis der Seagull zu uns kommt, ist offen.

(Bild: BYD)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

(This article is also available in English)

Drei Prozent aller neuen Elektroautos im Jahr 2030 fahren mit Natrium-basierten Traktionsbatterien. Das prognostiziert Prof. Dr. Markus Hölzle vom Zentrum für Solarenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW). Für seine Analyse hat der Materialspezialist Daten aus verschiedenen Quellen zusammengeführt. Allerdings ist die Welt der Zellchemie in ständiger Bewegung. Es gibt mehrere Argumente dafür, dass der Ersatz von Lithium durch Natrium erfolgreicher sein könnte, als es die aktuellen Schätzungen vermuten lassen. Das Wichtigste: Geld.

Traktionsbatterien mit Natrium- statt Lithium-Ionen-Zellen sind preisgünstiger. Konkret nennt Professor Hölzle für 2022 pro Kilowattstunde Energieinhalt 151 Euro bei hochwertigen NMC811-Zellen, 122 Euro je kWh für LFP-Zellen und 83 Euro pro kWh für Natrium-Ionen-Zellen von CATL. Diese Zahlen beziehen sich auf die Systemebene, also auf die fertige Traktionsbatterie inklusive aller Komponenten wie der Kühlung und Heizung, dem crashsicheren Gehäuse und dem Managementgerät.

Kostenvorteil sichtbar gemacht: Pro Kilowattstunden Energieinhalt auf Systemebene sind Natrium-basierte Traktionsbatterien deutlich preisgünstiger. Die Preise aus der Analyse von Prof. Hölzle beziehen sich auf das Jahr 2022 und sind in US-Dollar dargestellt. Weltmarktführer CATL hat mit dem Kathodenmaterial Preußisch Weiß einen weiteren Vorteil identifiziert.

(Bild: ZSW)

Der prozentuale Anteil der Kosten des Batteriesystems wird niedriger, je höher das Fahrzeugsegment ist. Anders formuliert: In einem Mercedes EQS (Test) oder vergleichbaren Elektroautos ist ein Kostenpunkt von 17.365 Euro – beispielhaft gerechnet nach der ungefähren Bruttokapazität des EQS von 115 kWh bei 151 Euro/kWh – weniger bedeutsam. Die Eigenschaften dagegen schon: Bei der Energiedichte macht den NMC-Zellen niemand etwas vor. Sowohl bezogen aufs Gewicht (gravimetrisch in Wattstunden pro Kilogramm) als auch auf den Bauraum (volumetrisch in Wattstunden pro Liter) sind Batteriezellen mit einer Kathodenmischung aus Nickel, Mangan und Kobalt an der Spitze.

Prof. Dr. Markus Hölzle vom ZSW prognostiziert mit Daten aus diversen Quellen einen Marktanteil von drei Prozent für 2030 gebaute Elektroautos. LFP-Zellen sollen bei 35 Prozent liegen. Solche Schätzungen können sich allerdings ändern, wenn zum Beispiel der Kostendruck steigt. Unklar ist auch, wie gut oder schlecht Natrium-basierte Traktionsbatterien in der Praxis sind. Hieraus können sich Verschiebungen ergeben.

(Bild: ZSW)

Wenn Elektroautos in Massen gebaut werden sollen, müssen sie preisgünstiger werden. Das ist für Fahrzeuge im preissensiblen Segment ein Problem. Es ist folgerichtig, dass eins der ersten Elektroautos mit Natrium-basierten Zellen der Kleinwagen BYD Seagull sein wird. Bei rund 11.000 Euro und 30 kWh Energieinhalt geht es los. Die Logik hinter dieser Anwendung ist die Gleiche, die für LFP-Zellen gilt. Lithium-Eisenphosphat-Zellen verzichten auf die teuren Metalle Nickel und Kobalt. Sie haben eine hohe zyklische Dauerhaltbarkeit und ein sehr geringes Risiko des thermischen Durchgehens. Aber die Energiedichte ist niedriger als bei NMC-Zellen, und bei Frost müssen die Zellen zuerst beheizt werden, bevor sie geladen werden können.

Tausende Fahrer des Tesla Model 3 können offenbar gut mit diesen Abstrichen leben. Für sich betrachtet sind 491 km WLTP-Reichweite in der Einstiegsversion für viele Anwendungsfälle nämlich völlig okay. Das Model 3 Long Range mit Allradantrieb bietet dank hochpreisiger Zellchemie 602 km Normreichweite; der Mehrpreis von etwa 9000 Euro ist eine Ansage, die etliche Käufer abhält. Traktionsbatterien mit LFP-Zellen verbreiten sich derzeit sehr stark. In Deutschland werden sie neben den Einstiegsversionen von Tesla Model 3 und Model Y bei MG oder BYD angeboten. Andere Hersteller wie VW folgen mit dem Basismodell des ID.2.

Natrium-basierte Zellen haben mit der relativ niedrigen Energiedichte eine ähnliche Schwäche wie LFP-Zellen. Aber sie haben in nahezu allen anderen Aspekten bessere Eigenschaften. Die logische Schlussfolgerung: Natrium-Zellen sind ein potenzieller Ersatz für LFP-Zellen. Oder als Frage formuliert: Wenn Natrium-Zellen in mehrfacher Hinsicht besser sind, wieso sollte der Marktanteil 2030 bei nur drei Prozent liegen? Für LFP-Zellen werden schließlich 35 Prozent prognostiziert. Weltmarktführer CATL hat bei der Vorstellung der Natrium-Ionen-Zelle im Juli 2021 eine gravimetrische Energiedichte von 160 Wh/kg genannt. Hierbei handelt es sich noch um eine Konstruktion, bei der zusätzlich Lithium-Ionen-Zellen zum Einsatz kommen. CATL hat als Ziel, in einer zweiten Generation, die ohne diese Mischbauweise auskommt, 200 Wh/kg zu erreichen.

CATL hatte im Juli 2021 die Produktion von Natrium-Ionen-Zellen für 2023 angekündigt - und wird das Versprechen sehr wahrscheinlich einhalten. Wenn Elektroautos weltweit und in Massen bezahlbar sein sollen, müssen die Kosten sinken. Das ist die Chance, die diese Zellchemie bietet.

(Bild: CATL)

Der Hersteller ist in der Mitteilung nicht präzise, ob sich diese Werte auf die Zell- oder die Systemebene beziehen. Dennoch ist offensichtlich: Wenn BYD für den heute verkäuflichen Atto 3 mit LFP-Zellen offiziell 140 Wh/kg nennt, scheint das für Natrium-basierte Traktionsbatterien keineswegs unerreichbar, selbst wenn die Angaben von CATL für die Zelle statt fürs System gelten sollten. Vorteile haben Natrium-Ionen-Zellen im Vergleich zu LFP-Zellen neben den Kosten auch bei der nochmals besseren zyklischen Dauerhaltbarkeit und bei der Kälteperformance. Günstigerer Preis, höhere Lebensdauer, stärkere Leistung bei niedrigen Temperaturen – es spricht auf dem Papier nicht mehr viel für LFP.

Batterien für Elektroautos

Aktuelle Fragezeichen: Wie gut können Natrium-Ionen-Zellen in Batteriesysteme integriert werden? Hierzu gibt es noch keine Praxiserfahrung aus der Großserie. Vielleicht ist der Aufwand zum Heizen und Kühlen sogar geringer, was den Nachteil der Energiedichte mildern könnte. Das wäre ideal und ist eine plausible Annahme, aber keine Feststellung. Ebenfalls offen ist, wie schnell Lieferketten für die Produktion aufgebaut werden können. Es ist möglich, die derzeitigen Verfahren weitgehend zu übertragen; es sind keine radikalen Änderungen wie etwa bei All Solid State-Batterien notwendig. Aber die Herstellung der Anode aus amorphem Kohlenstoff (Hard Carbon) und der Kathode mit Farbstoffen wie Preußisch Weiß wird bisher nicht in Großserie praktiziert. Der Hochlauf findet gerade erst statt – in China.

Aus europäischer Perspektive bietet der Ersatz von Lithium durch Natrium die Chance, sich unabhängiger von bestimmten Rohstoffen zu machen. Eine industriepolitische Strategie ist in der EU jedoch nicht erkennbar. Zwar gibt es so viele Ankündigungen zur Produktion von Batteriezellen, dass bereits 2030 der Bedarf einer Vollelektrifizierung aller rollenden Fahrzeuge gedeckt sein könnte. Diese öffentlichen Absichtserklärungen sind mit jedoch Vorsicht zu genießen, bis Taten folgen. Es wirkt immer noch, als hätten Industrie und Politik in Europa nicht final begriffen, was in der Welt passiert. Die Aktivität ist groß, und trotzdem fehlt der letzte Wille, dem strategischen Vorgehen der USA und Chinas schnell und kraftvoll etwas entgegenzusetzen.

(mfz)