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De-Globalisierung: Kann Europa sich selbst mit Stahl und Aluminium versorgen?

Rainer Kurlemann

(Bild: Dmytro Mikriukov / Shutterstock.com)

In unserer Rohstoff-Serie schauen wir, inwiefern sich Deutschland und Europa von Import-Abhängigkeiten lösen könnte. Wie sieht es bei Stahl und Aluminium aus?

(This article is also available in English [1])

Stahl spielt in Deutschland als Werkstoff eine herausragende Rolle. Im Jahr 2021 lag der Pro-Kopf-Verbrauch hierzulande bei 426 Kilogramm. In diese Zahl eingerechnet sind nicht nur die 180 Kilogramm aus Anwendungen für den privaten Konsum. Auch der Stahlverbrauch für Gebäude, Infrastruktur, Verkehr und Maschinenbau fließt in die Statistik ein.

Im vergangenen Jahr konnte Deutschland seinen Stahlbedarf zumindest theoretisch aus der eigenen Produktion decken. An mehr als 20 Standorten wird hierzulande Stahl produziert. Doch das Metall wird häufig nicht im eigenen Land verwendet, sondern exportiert. Im Jahr 2020 gingen etwa 60 Prozent der deutschen Stahlproduktion ins Ausland – rund 22 Millionen Tonnen. Gleichzeitig wurden aber 20,4 Millionen Tonnen importiert. Dieses Hin und Her entsteht durch unterschiedliche Verwendung des Stahls. Vor dem Embargo lieferte Russland beispielsweise Massenstähle nach Europa, die in der Bauindustrie zum Einsatz kommen. Deutschland hingegen exportiert Stahl, der in der Autoindustrie oder beim Maschinenbau genutzt wird.

Über Rohstoffe und De-Globalisierung:

Shenzhen, Hafen von Yantian

(Bild: zhangyang13576997233 / Shutterstock.com)

Die vergangenen Monate haben schmerzlich gezeigt, dass die Abhängigkeit von Ressourcn einen hohen Preis hat. Doch lässt sich das Rad noch zurückdrehen? Werfen wir also einen Blick auf die Versorgungslage. Wie weit sich Europa mit strategisch wichtigen Rohstoffen selbst versorgen könnte und was das für die Industrie bedeutet, wollen wir mit einer Rohstoff-Artikelserie erkunden.

Dass die deutsche Exportbilanz beim Stahl positiv ausfällt, ist nicht selbstverständlich. Von 2014 bis 2018 waren die Importe höher als die Exporte. Die Bilanz für die EU fällt seit langem negativ aus. Europa kann seinen Stahlbedarf seit 2015 nicht mehr aus der eigenen Produktion decken. Wer Stahl kaufen muss, wird mit großer Wahrscheinlichkeit mit chinesischen Herstellern Geschäfte machen.

Knapp zwei Milliarden Tonnen Stahl wurden weltweit im Jahr 2021 produziert, mehr als die Hälfte davon stammt aus China. Das Land dominiert den Markt. Allein der größte chinesische Hersteller, die China Baowu Group, hat in 2021 mehr Stahl produziert als Indien. Indien produziert als zweitgrößtes Herstellerland nur ein Zehntel dessen, was in chinesischen Hüttenbetrieben erzeugt wird.

Auch wenn die Stahlbilanz auf den ersten Blick positiv ausfällt, bleibt Deutschland dennoch von Importen abhängig. Zur Herstellung von Stahl werden Eisenerze benötigt, diesen Rohstoff muss Deutschland vollständig importieren. Das gilt auch für Kokskohle, mit deren Hilfe das Eisen aus dem Erz gewonnen wird. Früher haben die Zechen im Saarland und im Ruhrgebiet die deutsche Stahlindustrie mit Kohle versorgt. Seit die letzten Kumpel die Schachtanlagen verlassen haben, muss auch Steinkohle importiert werden.

Zwar testen die deutschen Hersteller bereits Wasserstoff als Alternative, aber diese Verfahren können noch nicht im großtechnischen Maßstab eingesetzt werden. Mit dem Umstieg auf Wasserstoff sollte ursprünglich die CO2-Bilanz der Stahlindustrie verbessert werden, doch die Methode verringert gleichzeitig die Abhängigkeit vom Weltmarkt.

Beim Recycling von Stahl ist Deutschland gut aufgestellt. Etwa ein Drittel des Neustahls wird bereits aus Altmetall hergestellt. Dazu wird Schrott im elektrisch betriebenen Lichtbogenofen zu Stahl geschmolzen. Nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl ist der Recycling-Kreislauf für Stahlschrott gut organisiert. [7] Die Sammelrate für Baustahl am Ende der Bautennutzung betrage in Deutschland beispielsweise rund 97 Prozent. Stahl kann nahezu ohne Qualitätsverlust wiederverwertet werden. Jede Tonne Stahl, die aus Eisenerz gewonnen wird, entspricht nach sechsmaligen Recycling in der Summe vier Tonnen neuer Stahlprodukte, meldet der Branchenverband.

[8]
Luftaufnahme eines Aluminium-Recyclingbetriebs mit Metallschrotthalden, Schüttmulden, Lastwagen und einem Ladebagger.

(Bild: Curioso.Photography/Shutterstock.com)

Für Aluminium, das andere Metallmassenprodukt, sieht die Bilanz aus deutscher Sicht nicht so gut aus. Mehr als drei Millionen Tonnen Aluminium werden jährlich in Deutschland benötigt. Etwa die Hälfte davon geht in den Flugzeug- und Autobau. Die Bauindustrie, Maschinenbau und Elektrotechnik sowie Verpackungshersteller sind die übrigen Abnehmer. Dem gegenüber steht eine deutsche Produktion von 1,2 Millionen Tonnen im Jahr 2019.

Deutschland setzt dabei auf Wertstoffrecycling. 692 Tausend Tonnen stammen aus dieser Quelle, berichtet der Gesamtverband der Aluminiumindustrie (GDA) [9]. Die Chancen, dass die Produktion an wiederverwertetem Aluminium weltweit steigen wird, stehen gut. Denn der technische Aufwand für die Rückgewinnung des Aluminiums ist verglichen mit der Herstellung von Neu-Aluminium deutlich kleiner, weil das Metall schon bei niedrigen Temperaturen schmilzt. Dadurch verringern sich die Energiekosten auf etwa fünf Prozent. Derzeit stammen 20 Prozent der globalen Produktion aus dem Recycling.

Ohne den Weg des Recycling werden weder Europa noch Deutschland ihren Aluminiumbedarf decken können. Aluminium ist zwar das dritthäufigste Element in der Erdkruste, aber in Europa gibt es nur in Griechenland kleinere Lagerstätten, deren Abbau sich lohnt. Das wichtigste Aluminium-Mineral ist Bauxit. Doch der technische Prozess der Herstellung ist aufwändig. Nach Berechnungen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe [10] müssen für eine Tonne Aluminium fast neun Tonnen Gestein abgebaut werden, ein Drittel davon landet als Abraum auf der Halde.

Über Rohstoffe und De-Globalisierung:

Typische Bauxitlagerstätten sind nur zwei bis zehn Meter dick, der Tagebau benötigt deshalb viel Fläche, um größere Mengen zu fördern. Australien, China und Guinea in Westafrika sind derzeit die größten Abbauländer. Als es im September 2021 im westafrikanischen Land einen Militärputsch gab, stieg sofort der Aluminiumpreis auf dem Weltmarkt.

Deutschland hat kaum Möglichkeiten, das bauxithaltige Gestein selbst zu verarbeiten. Das geschieht nur in geringen Mengen, die hierzulande verwendeten Erze stammen aus Guinea, Liberia und Australien. Die Gesteine müssen über ein Zwischenprodukt aufgearbeitet werden. Als erstes wird aus Bauxit Tonerde (Aluminiumoxid) gewonnen, das passiert häufig nicht in den Abbauländern.

China, Australien und Brasilien teilten sich im Jahr 2020 mehr als 75 Prozent des Weltmarkts für Tonerde, mehr als die Hälfte stammt aus China. Meistens liegen Abbau, Transport und Aufbereitung in der Hand der gleichen Firma. Die Chinesen verarbeiten eigene Bauxit-Vorkommen und importieren zusätzlich aus Guinea, Australien und Indonesien.

Auch die Tonerde wird oft in einer Aluminiumhütte in einem anderen Land weiterverarbeitet. Dafür wird das Aluminiumoxid bei hohen Temperaturen mit viel Energieaufwand während einer Elektrolyse ins reine Metall umgewandelt. Wer Aluminium herstellen will, braucht viel Strom und ist auf günstige Energie angewiesen. Deshalb üben auch die Energiepreise einen großen Einfluss für die Standortwahl aus.

Im Jahr 2021 stammten nach Angaben des International Aluminum Insititut (IAI) [21] 57 Prozent des neu hergestellten Aluminiums aus China. Danach folgen Indien (5,7 Prozent), Russland (5,4 Prozent) und Kanada (4,6 Prozent). Auch die Golfstaaten VAE und Bahrein zählen zu sieben größten Herstellern weltweit.

(jle [22])


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[1] https://www.heise.de/hintergrund/De-globalisation-Can-Europe-supply-itself-with-steel-and-aluminium-7269897.html
[2] https://www.heise.de/hintergrund/Neue-Serie-De-Globalisierung-Wie-unabhaengig-kann-Europa-sein-7251008.html
[3] https://www.heise.de/hintergrund/De-Globalisierung-Kann-Europa-sich-selbst-mit-Lithium-versorgen-7223228.html
[4] https://www.heise.de/hintergrund/De-Globalisierung-Kann-Europa-sich-selbst-mit-Seltenen-Erden-versorgen-7259585.html
[5] https://www.heise.de/hintergrund/De-Globalisierung-Kann-Europa-sich-selbst-mit-Stahl-und-Aluminium-versorgen-7243606.html
[6] https://www.heise.de/hintergrund/De-Globalisierung-Kann-Europa-sich-selbst-mit-Kupfer-versorgen-7261735.html
[7] https://www.stahl-online.de/wp-content/uploads/WV-Stahl_Fakten-2020_rz_neu_Web1.pdf
[8] https://www.instagram.com/technologyreview_de/
[9] http://www.aluinfo.de/produktion-und-bedarf.html
[10] https://www.deutsche-rohstoffagentur.de/DE/Gemeinsames/Produkte/Downloads/Informationen_Nachhaltigkeit/aluminium.pdf?__blob=publicationFile&v=2
[11] https://www.heise.de/hintergrund/Neue-Serie-De-Globalisierung-Wie-unabhaengig-kann-Europa-sein-7251008.html
[12] https://www.heise.de/hintergrund/De-Globalisierung-Kann-Europa-sich-selbst-mit-Lithium-versorgen-7223228.html
[13] https://www.heise.de/hintergrund/De-Globalisierung-Kann-Europa-sich-selbst-mit-Seltenen-Erden-versorgen-7259585.html
[14] https://www.heise.de/hintergrund/De-Globalisierung-Kann-Europa-sich-selbst-mit-Stahl-und-Aluminium-versorgen-7243606.html
[15] https://www.heise.de/hintergrund/De-Globalisierung-Kann-Europa-sich-selbst-mit-Kupfer-versorgen-7261735.html
[16] https://www.heise.de/hintergrund/De-Globalisierung-Kann-Europa-sich-selbst-mit-Kobalt-versorgen-7269182.html
[17] https://www.heise.de/hintergrund/De-Globalisierung-Trotz-neuer-Batteriefabriken-bleibt-Abhaengigkeit-von-China-7260696.html
[18] https://www.heise.de/hintergrund/De-Globalisierung-Wie-die-Zeichen-fuer-eine-europaeische-Solarindustrie-stehen-7279541.html
[19] https://www.heise.de/hintergrund/Silizium-Kann-Europa-sich-selbst-mit-dem-wichtigen-Rohstoff-versorgen-7281539.html
[20] https://www.heise.de/hintergrund/Helium-Warum-die-Versorgung-mit-dem-Edelgas-unuebersichtlich-ist-7285962.html
[21] https://international-aluminium.org/statistics/primary-aluminium-production/
[22] mailto:jle@heise.de