Neue Serie: De-Globalisierung – wie unabhängig kann Europa sein?​

Die vergangenen Monate haben schmerzlich gezeigt, dass die Abhängigkeit von Ressourcen einen hohen Preis hat. Doch lässt sich das Rad noch zurückdrehen?​

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Hafenszene: Stapelweise Container und viele Kräne

In der Pandemie geschlossen: Hafen von Yantian, Shenzhen.

(Bild: zhangyang13576997233 / Shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.

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In Frankreich herrscht eine Senf-Krise. Die weltweit beliebte Würzpaste ist nicht nur in Dijon ein nationales Heiligtum, doch Nachschubprobleme führen zu leeren Regalen und hohen Preisen. Die Dürre in Kanada, einer der Hauptlieferanten für Senfsaat, Logistikprobleme und natürlich der Krieg in der Ukraine schneiden die Franzosen vom begehrten Rohstoff ab. Der Markt ist leergekauft.

Frankreich steht damit nicht alleine. Und Senf ist auch nicht das einzige Problem. Corona, China, Krieg – die vergangenen Jahre haben den saturierten westlichen Industriestaaten schmerzlich vor Augen geführt, wie anfällig die fein austarierten und hochkomplexen Lieferketten sind. Wie abhängig wir inzwischen von Energieträgern und Rohstoffen aus anderen Ländern sind. Wie zentral eine funktionierende Logistik für die "Just in time"-Wirtschaft ist. Und wie schnell diese vermeintlich stabile Welt aus den Fugen geraten kann.

Kaum eine Branche, die nicht betroffen ist. Allen voran die weltweite Halbleiterindustrie lebt von hochkomplexen Lieferketten, die das Coronavirus besonders hart erwischt hat. Addiert man dazu die exorbitant gestiegenen Energiepreise, Inflation und Rezessionsangst, erhält man das, was Marktbeobachter einen "perfekten Sturm" nennen. Die Aussichten sind trübe.

Über Rohstoffe und De-Globalisierung:

Shenzhen, Hafen von Yantian

(Bild: zhangyang13576997233 / Shutterstock.com)

Die vergangenen Monate haben schmerzlich gezeigt, dass die Abhängigkeit von Ressourcen einen hohen Preis hat. Doch lässt sich das Rad noch zurückdrehen? Werfen wir also einen Blick auf die Versorgungslage. Wie weit sich Europa mit strategisch wichtigen Rohstoffen selbst versorgen könnte und was das für die Industrie bedeutet, wollen wir mit einer Rohstoff-Artikelserie erkunden.

Dazu wirken politische Konflikte verschärfend. Im Zuge des Handelskriegs zwischen den USA und China gerieten die europäischen Netzbetreiber zwischen die Fronten, immer mehr Regierungen entziehen dem chinesischen Ausrüster Huawei das Vertrauen. Damit wird eine ohnehin überschaubare Auswahl an Zulieferern noch kleiner – auch die haben Probleme und denken laut über Preiserhöhungen nach.

Die Franzosen diskutieren jetzt, ob und wie sie die Senfproduktion wieder repatriieren können. Europa will sich emanzipieren, politisch wie wirtschaftlich, und nicht nur von der Übermacht der amerikanischen Tech-Riesen lösen. Das Schlagwort der "De-Globalisierung" macht die Runde, nicht zuletzt auch auf der Elektronikmesse IFA, die dieser Tage in Berlin stattfindet.

Doch können wir das Rad überhaupt noch zurückdrehen? Stellt sich raus: in einigen Branchen vielleicht. Beispiel Glasfaser: Die strategische Abhängigkeit ist geringer, als auf den ersten Blick zu erwarten wäre, sagt Sebastian Glatz vom Fachverband ZVEI. An der weltweiten Kabelproduktion hat Europa einen Anteil von 15 Prozent: "Europa wäre in der Lage, sich selbst zu versorgen."

Werfen wir also einen Blick auf die Versorgungslage. Wie weit sich Europa mit strategisch wichtigen Rohstoffen selbst versorgen könnte und was das für die Industrie bedeutet, wollen wir mit einer Artikel-Serie erkunden. Den Anfang macht am Freitag eine Schlüsselkomponente der auch politisch gewollten Verkehrswende zu Elektromobilität: Lithium.

(vbr)