Helium: Warum die Versorgung mit dem Edelgas unübersichtlich ist
Die europäische Union hat Helium von der Liste der kritischen Rohstoffe gestrichen. Trotzdem kommt es immer wieder zu Versorgungsengpässen.
- Rainer Kurlemann
(This article is also available in English)
Robert Coleman Richardson kannte sich als Wissenschaftler wie kaum ein anderer mit Helium aus. Der Physiker bekam 1996 für seine Forschung zum Edelgas den Nobelpreis. Und Richardson war auch eine laute Stimme, die immer wieder mahnte, sparsam mit Helium umzugehen. In etwa 25 Jahren würden die weltweiten Vorräte erschöpft sein, warnte der inzwischen verstorbene Nobelpreisträger 2010. Gibt es im Jahr 2035 nicht mehr ausreichend Helium auf der Welt?
Die Experten der Europäischen Union bewerten die Situation anders. Die EU überprüft regelmäßig die Versorgungslage bei 83 Rohstoffen. Bis 2017 stand Helium noch auf der Liste der kritischen Ressourcen, im Jahr 2020 fiel das Ergebnis der Prüfung anders aus. Die Versorgung mit dem Edelgas gilt jetzt als gesichert. Auch die zuständige US-Behörde kommt zu einer ähnlichen Auffassung.
Die vergangenen Monate haben schmerzlich gezeigt, dass die Abhängigkeit von Ressourcen einen hohen Preis hat. Doch lässt sich das Rad noch zurückdrehen? Werfen wir also einen Blick auf die Versorgungslage. Wie weit sich Europa mit strategisch wichtigen Rohstoffen selbst versorgen könnte und was das für die Industrie bedeutet, wollen wir mit einer Rohstoff-Artikelserie erkunden.
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Knappes Gut Helium – oder doch nicht?
Dieser scheinbare Widerspruch gehört zur unübersichtlichen Geschichte des Rohstoffs Helium. Die weltweite Datenlage "sei sehr schlecht", schreibt die Deutsche Rohstoffagentur (Dera) in einem Hintergrundpapier über Edelgase. Die bisher offiziell genannten Fördermengen seien möglicherweise fehlerhaft, so die Dera. In den meisten Jahren habe die weltweite Nachfrage wohl ungefähr dem Angebot entsprochen, heißt es weiter. Ob das Edelgas Helium wirklich ein knappes Gut ist, scheint nicht genau bekannt zu sein.
Vieles ist bei Helium anders als bei anderen Rohstoffen. Helium wird beispielsweise durch natürliche Prozesse ständig neu gebildet. Es entsteht beim radioaktiven Zerfall von Uran und Thorium in der Erdkruste. Aber Heliumatome sind so klein, dass das Gas Erdschichten leicht durchdringen kann, in die Atmosphäre gerät und schließlich im Weltall verschwindet. Der zweite wichtige Heliumvorrat ist das Gas, das zum Teil schon in der Entstehungsphase der Erde gebildet wurde. Es kommt im Erdmantel vor, aber auch von dort tritt es meistens ungehindert in die Luft aus. Damit der Rohstoff gewonnen werden kann, muss es spezielle, dicke Erdschichten geben, die diese Ausgasung in die Atmosphäre verhindern.
Verwendung von Helium
In den vergangenen Jahren wurde immer wieder über Heliumkrisen berichtet, bei denen die Versorgung der Anwender mit dem Edelgas nicht mehr gesichert war. Der Großteil der Bevölkerung bekommt diese Probleme gar nicht mit. Wer beruflich mit Helium in Kontakt kommt, hat meistens einen besonderen Job. Etwa ein Viertel des weltweiten Heliumbedarfs dient zur Kühlung der Magnete in medizinischen Geräten für aufwändige, bildgebende Diagnostik, beispielsweise in Kernspin- und Magnetresonanztomographen. Helium gehört außerdem zu den Rohstoffen, die für die Produktion von Glasfasern benötigt werden.
Flüssiges Helium ist dank seiner guten Wärmeleitfähigkeit ein ausgezeichnetes Kältemittel für Hochleistungstechnologien, die bei niedrigen Temperaturen arbeiten müssen. Viele Supraleiter oder Messgeräte an Satelliten werden mit Helium gekühlt, auch die Teilchenbeschleuniger am CERN und Magnetschwebebahnen verwenden das Edelgas. Der Start einer Weltraumrakete ist ohne Helium kaum möglich, denn das Gas wird wegen seiner extrem geringen Reaktivität während der Betankung und des Druckaufbaus von Raketentreibstoffen eingesetzt. Helium kann als Schutzatmosphäre zur Herstellung extrem reiner Materialien verwendet werden und dient als Schutzgas bei einigen Schweißverfahren. Berufstaucher atmen Helium-Sauerstoff-Stickstoff-Gemische, wenn sie in größere Tiefen absinken. Der in der Öffentlichkeit bekannteste Einsatz von Helium dürfte die Verwendung in Zeppelinen, Wetterballons oder für Ballonfahrten sein. Und natürlich die kleinen, metallbeschichteten Spezialballons für Kindergeburtstage oder Hochzeiten.
Wo Helium gefördert wird
Helium wird nur an wenigen Stellen auf der Welt gefördert. Bis 1994 produzierten die USA den Großteil des Gases. Die Vereinigten Staaten waren der einzige westliche Heliumproduzent, eine wichtige Rolle spielte jahrzehntelang das Cliffside-Heliumspeicherfeld in Texas als mit Abstand größte bekannte Quelle.
Doch der Weltmarkt hat sich verändert. Helium wird typischerweise aus Erdgas gewonnen: dort, wo Erdgaslagerstätten so aufgebaut sind, dass das Edelgas nicht entweichen konnte. Während die traditionsreichen Heliumvorkommen in den USA einen Edelgas-Anteil von 0,3-Volumenprozent haben, sind die Heliummengen in anderen Erdgasfeldern deutlich geringer. Trotzdem ist es seit den 2010er Jahren wirtschaftlich attraktiv geworden, Helium in aufwändigen Industrieanlagen abzutrennen. Nach Angaben der Dera waren im Jahr 2017 weltweit 49 Heliumanlagen in Betrieb.
55 Prozent des Gases stammten aus den USA, 23 Prozent aus Katar, zehn Prozent aus Algerien und kleinere Mengen aus Kanada, Polen, Australien und Russland. Diese Anteile dieser sieben Länder verändern sich von Jahr zu Jahr, beispielsweise wenn längere Wartungsarbeiten einen Hersteller aus dem Markt nehmen. Südafrika und Tansania beginnen den Aufbau einer Produktion, das wird das Heliumangebot stabilisieren.
Die Heliumkrisen der vergangenen Jahre könnten ein Resultat von Einzeleffekten sein. In diesem Jahr waren zwei Anlagen in Katar für Wartungsarbeiten routinemäßig außer Betrieb, als ein Werk in den USA wegen eines Lecks schließen musste. Hinzu kam eine Explosion in einer Anlage in Russland, dessen Produktion ohnehin für die EU unter das Embargo fallen würde. Damit stand für mehrere Monate nicht mehr genug Helium zur Verfügung. Leidtragende sind vor allem die großen Forschungseinrichtungen, die teilweise nicht mehr arbeiten können.
(jle)