Missing Link: New Digital Deal - Kunst (nicht nur) des Digitalen

Seite 3: Wissenschaft

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Die Ars Electronica ist glücklich, nun auf dem Gelände der Johannes-Kepler-Universität eine neue Heimat für das Festival gefunden zu haben. Sicherlich ist die parkähnliche Campuslandschaft am Stadtrand ein Symbol für die Welt, wie sie sein sollte, für jeden. Doch fanden wir das heruntergekommene Postgelände am Bahnhof ehrlicher. Aber vielleicht führt die Nähe zur Wissenschaft zur gegenseitigen Befruchtung. Der Rektor der Universität, Meinhard Lukas, und der künstlerische Leiter der ARS, Gerfried Stocker, scheinen jedenfalls ein Herz und eine Seele.

Die Ausstellung der Universität beschäftigt sich mit der Frage, was KI ist und was sie kann. Wandtafeln klären über Mythen der KI auf, fragen, warum die typischen Bilder eigentlich immer Roboter und blaue, glimmende Gehirne sind, warum immer nur kaukasischer Männergesichter gezeigt werden (der "alter weiße Mann") und wo KI versagt. Mehrere Exponate erlauben dem Besucher mit der KI zu experimentieren. Zum Beispiel darf man Verkehrszeichen manipulieren und versuchen das Auto auf der Carrerabahn zum Entgleisen zu bringen.

Carrerabahn mit dem Beispiel für KI-gestützte Verkehrszeichenerkennung

(Bild: Dorothea Cremer-Schacht)

Das ist alles sehr lehrreich und gut gemacht und Wissensvermittlung für die Öffentlichkeit ist eine lange Zeit vernachlässigte Aufgabe der Universitäten. Doch leistet es keinen Beitrag zum Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft, der im Zentrum des Festivals steht. Für die Kunstvermittlung gibt es das Museum "Ars Electronica Center", der Beitrag der Universität sollte unseres Erachtens ein anderer sein.

Beim Besuch des Museums konnten wir uns wieder von dem hohen Stand der Technikvermittlung überzeugen. Viele der Exponate sind technisch immens anspruchsvoll und müssen von den Museumsmachern von Grund auf erbaut werden, und zwar alle paar Jahre wieder, dem technischen Fortschritt entsprechend. Diese Aufgabe war vor 25 Jahren Anlass für die Gründung des ARS Electronica Future Lab. Gerfried Stocker hatte sich seinerzeit von mehreren Agenturen beraten lassen, nur um zu dem Schluss zu kommen, dass keines der klassischen Museumskonzepte geeignet war. Es dann eben alles selbst zu machen, war ein kluger Schachzug, denn heute hat das Future Lab unter seinem Leiter Horst Hörtner einen ganz eigenen Ruf und wird von Industriepartnern nachgefragt, die sich beraten lassen wollen oder in Gemeinschaftsprojekten neue Ideen ausprobieren wollen.

Neu im Museum und speziell für das Festival eröffnet wurde ein Bereich zum Klimawandel. Ob das wirklich in dieses Museum gehört kann man fragen. Immerhin gibt neben den Informationstafeln mit den allseits bekannten Basisinformationen "Asunder", ein Exponat, das mit künstlicher Intelligenz Verbesserungsvorschläge für verschiedene Regionen generiert. Ob sich die Berliner mit einem angrenzenden Urwald anfreunden könnten, würden wir natürlich gerne erleben.

Warum heute, nachdem die Themen Klimawandel und Energiewende dreißig Jahre mit steigender Intensität durch die Öffentlichkeit wabern, ein Schwerpunkt in einem Technologie- und Kunstkontext sein können, wollten wir von Martin Honzik wissen. Honzik ist ein ausgesprochen freundlicher, humorvoller und dynamischer Zeitgenosse, und nichts scheint ihn erschüttern zu können. Er ist für den Gesamtablauf des Festivals zuständig, alle Fäden laufen bei ihm zusammen. Wir hätten eher einen aufgeregten Hektiker erwartet, aber vermutlich kann man diesen Job, der ihn ein halbes Jahr daran arbeiten lässt, Menschen aus aller Welt zusammenzubringen und dann ein zweites halbes Jahr, die Ergebnisse wieder in die Welt hinauszutragen, nur mit viel Seelenruhe ausführen. Er sagt jedenfalls, dass er die Festivaltage genießen will.

Martin Honzik

(Bild: Dorothea Cremer-Schacht)

Dreißig Jahre lang ist doch nichts passiert, erklärt Honzik und vermittelt glaubwürdig, dass ihm das Thema wichtig ist. Er verpflichtet alle Partner des Festivals, die Nachhaltigkeit aller verwendeten Produkte und Materialien nachzuweisen. Gummibärchen in Plastiktütchen geht nur, wenn sichergestellt ist, dass jedes Tütchen den Weg in die Recyclingtonne nimmt.

Es geht laut Honzik heute nicht mehr darum, Visionen für eine digitale Welt zu finden, sondern Lösungen für die Probleme dieser digitalisierten Welt. Als da wären: Der Stromverbrauch der Cloud, die Arbeitsbedingungen bei der Gewinnung der Rohstoffe, die Genderungleichheit, Rassendiskriminierung und andere Ungerechtigkeiten, die durch die vorurteilverstärkenden Mechanismen künstlicher Intelligenzen verfestigt würden und schließlich die Machtkonzentration in den Händen großer Konzerne und Staaten, die die Datenflüsse kontrollieren können. Darauf soll die Konferenz eine Antwort finden. Es gehe heute darum, Lösungen für die ganze Gesellschaft im digitalen Raum zu skizzieren, den New Digital Deal eben.

KI macht Vorschläge für die Umweltverbesserung in verschiedenen Regionen der Welt

(Bild: Dorothea Cremer-Schacht)

Für das Klimathema hat Honzik das Branch-Magazin beauftragt, den ersten von zwei Konferenzblöcken zu organisieren. Das Magazin gibt es seit einem Jahr und es hat bisher zwei Ausgaben publiziert. Michelle Thorne und Chris Adams sind die beiden Macher; sie versuchen ein Netzwerk von Menschen zusammenzubringen, die im Tech-Sektor arbeiten und von der Dringlichkeit eines radikalen Umsteuerns ebenso überzeugt sind, wie sie selbst. Es geht um "Aktion jetzt", ähnlich wie Extinction Rebellion, mit denen sie sympathisieren. Für ihre eigene Webseite haben sie eine Technik realisiert, bei der der Umfang der angezeigten Daten davon abhängt, wie grün der Strom am Standort des Empfängers ist - je grüner, desto besser zum Beispiel die Bilder.

Michelle Thorne und Chris Adam

(Bild: Dorothea Cremer-Schacht)

Es sind aber erstaunliche Themen, die den Auftakt bilden. Ob man von Solarpunk gehört haben muss, lassen wir mal offen. Aber die Frage, ob deren optimistisches Zukunftsbild taugt, Aktivismus zu entfachen, oder eher lähmt, ist doch sehr speziell. Eher die Frage einer Blase in einer Blase. Auch die aufgeworfene Frage am Ende des Konferenztages, ob man eher von Klimaproblem, Klimakrise oder Klimanotstand reden sollte, wird eher nur eine kleine Gruppe von Menschen erregen. Und nicht unerwartet geht es um mehr als das Klima. Das Internet soll nicht nur klimaneutral sein, sondern auch gerecht, Gender, Race, Trans, alle Themen spielen zusammen. Die Frage nach dem Kapitalismus steht wie ein Elefant im Raum, wie jemand bemerkte.

Die Veranstaltung war sehr schwach besucht, kaum ein Dutzend Interessenten, wenn man die Techniker, Hilfskräfte und Medienvertreter ausnimmt. Zwar waren die Panels dual, hatten also auch Online-Zuschauer, doch bei 30.000 Besuchern des Festivals hätten sich ein paar mehr Teilnehmer finden können. Der Anspruch, die Diskussion über einen Digital Deal in die gesellschaftliche Mitte zu bringen, wird in diesem Format kaum gelingen. Und es wird auch kaum gelingen, ohne kontroverse Positionen auf das Tableau zu holen.

Der zweite Konferenztag organisierte das AI-Lab, eine Initiative der Europäischen Union und des österreichischen Innenministeriums. Auch hier mangelt es an der Öffnung zu Spielern außerhalb der Blase. In der Session über die Frage, wie KI und Kunst zusammenhängen, diskutieren drei Künstler miteinander, die künstliche Intelligenz an bestimmten Stellen in den Prozess ihrer Werkserstellung einfließen lassen. Die Frage, ob es Kunst autonom und ohne Künstler geben kann, prallt verständnislos ab. Vielleicht hätte ein Wissenschaftler in dieses Panel des Festivals für Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft gehört.

Auch das Panel "AI x Civil Society: How AI infrastructures can advance the public good", scheiterte am Thema. Immerhin bemerkte man selbst, dass ein Aktivist, der für Menschen in Flüchtlingslagern arbeitet, viel grundlegendere Fragen an die Technik stellt oder dass die Juristin aus Hongkong, die sich einem hochgerüsteten Staatsapparat gegenübergestellt sieht, eher damit befasst ist, verschlüsselte Netzwerke zu organisieren als AI-Technik einzusetzen. Die Diskussion war spannend und lieferte interessante Einsichten.

Der New Digital Deal ist sicherlich ein guter Gedanke und auch die Überlegung, dass nun nicht die Zeit ist, neue Visionen zu einwickeln, sondern die neue digitale Welt zu ordnen. Der Anspruch wird aber vielleicht ein neues Format erfordern, das eine breitere Diskussion erzwingt, was sicherlich mit dem Risiko von Kontroversen einhergeht. Die Breite und Wirkungsmacht der ARS Electronica bietet aber die Möglichkeit, dies produktiv zu wenden.

(bme)