Missing Link: Über die Stärken und Schwächen des menschengemachten Internets

Randy Bushs Geschichte umspannt das Leben des Internets. Der Internet-Pionier ist Routing-Experte, Netzwerker und Geek – er hat nie einen Abschluss gemacht.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 39 Kommentare lesen
Social,Network,And,City.

(Bild: metamorworks/Shutterstock.com)

Lesezeit: 51 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Wired verlieh Randy Bush den Titel des "reuelosen Hippie und Weltnetzwerkers". Die Internet Society nahm ihn als einen der Ersten in ihre Internet Hall of Fame auf, und für die viele Arbeit, die er für den Aufbau der Netze in afrikanischen Ländern leistete, verlieh ihm die südafrikanische Rhodes Universität einen Ehrendoktortitel, den er gemeinsam mit Nelson Mandela entgegennahm. Die Geschichte des Internet-Pioniers umspannt das Leben des Internets.

Bushs Geschichte reicht aber weit vor die Anfänge des Internets zurück: bis in die Tage der Lochkarten und Mainframes. Von dieser Erfahrung kommend, gestaltete der "Hippie" die Anfänge des Netzes im pazifischen Nordwesten, den USA und global mit, manchmal von der Peripherie aus, wohl, weil er Strukturen misstrauisch betrachtet. Vielleicht ist das eine Erbschaft seines politischen Aktivismus in den 60ern in der US-Friedensbewegung. Das Netz ist am Ende ein Ergebnis der Zusammenarbeit von Menschen, nicht so sehr Organisationen, erklärte er diese Philosophie bei einem Vortrag im vergangenen Jahr.

Im Interview mit heise online spart er nicht mit Kritik an dem, was er für falsch hält an älteren und neueren Entwicklungen, und schickt dann schriftlich hinterher, seine Karriere sei letztlich die Geschichte der Arbeit Anderer; er habe nur Durchhaltevermögen und Sturheit beigetragen.

Transkript des Interviews auf Englisch / English transcript.

Unsere Serie deutscher und ausländischer Internetpioniere:

heise online: Randy, lange bevor das Internet kam, hast du Computer gebaut. Als Northwest Microcomputer Systems (NMS) startete, hattest du laut deiner Vita schon 12 Jahre Erfahrungen in der Computerindustrie gesammelt. Wie war das in den 60ern?

Randy Bush

Randy Bush: Ich habe die Computer nicht gebaut. Wo fange ich an? 1965 arbeitete ich etwas lustlos im Lab für klinische Chemie der Universitätsklinik in Chicago. Das Lab war im Keller und eines Tages sagte jemand, hey Randy, kannst du auf dem Weg zum Mittagessen diesen Stapel von Karten in Raum 534 bringen. Ich sagte, na klar, und als ich in Raum 534 ankam, sagte ich einfach nur, was ist das für eine Maschine? Und man sagte mir, das ist ein Computer. Als ich wissen wollte, wie das funktioniert, drückte man mir ein Handbuch in die Hand. Das nahm ich abends mit nach Hause. Am nächsten Tag war ich dann wieder dort und sagt, ich habe hier so ein kleines Programm, kann ich das mal ausprobieren. So bin ich in den Kaninchenbau gefallen. Das war übrigens ein IBM 1401.

Du warst studierter Ingenieur…

Nein. Ich hatte gar keine Ausbildung. Ich bin ein Geek und ich habe nie einen Abschluss gemacht.

Kein Uni-Abschluss?

Na ja, ich habe ein paar Honorartitel, aber die zählen ja nicht wirklich. Der IBM 1401 stand in der Fakultät für Biomathematik, wo mich Carol Newton, die dort Senior Medical Computing Scientist war, unter ihre Fittiche nahm. Sie hat mich gedrängt, Seminare in Numerik zu belegen und solche Dinge. Eines der Projekte, bei denen ich dann mitarbeitete, war die Beobachtung des Herzschlags von Babys während der Wehenaktivität. Wir verwendeten einen PDP-8-LINC Minicomputer von Digital Equipment dafür. Als wir das Projekt abgeschlossen hatten, gab der Gynäkologe die Entwicklung an HP und Beckman weiter. Als meine Tochter 2009 ihre Tochter bekam, ging der Alarm an einem solchen Gerät an. Sie bekam einen Kaiserschnitt und das rettete ihr das Leben. Dass sich der Kreis so wieder geschlossen hat, gefällt mir.

Wie lang bliebst du in Chicago?

Ich habe eine ganze Weile am Rechenzentrum der Uni Chicago gearbeitet, das direkt hinter dem Atomreaktor der Uni lag. Wir hatten eine Leitung, die vom Hospital dorthin ging. Betreiber des Computerrechenzentrums war die Hochenergie-Physik. Das war typisch damals. Entweder wurden die Rechenzentren von der Physik, der Mathematik oder den Wirtschaftswissenschaften betrieben. Ich fing an, mich mit Gleitkommaarithmetik zu befassen. Verdient habe ich zu der Zeit ganze 87 Cents pro Stunde, meine Frau bekam 92 Cents. Nicht viel, aber wir waren zufrieden und glücklich. Dann bekam ich ein Anbot von Kaiser Oakland. Kennst du Kaiser Industries in den USA?

Sie haben den Hoover Dam und Schiffe gebaut…

Während des 2. Weltkriegs wollte Kaiser, das Stahl produziert und auch Schiffe baute, die Gesundheitsversorgung für ihre Arbeiter erweitern. Sie richteten eine Krankenhausabteilung ein, die Kaiser Permanente hieß, eine Art Betriebskrankenhaus. Die Kaiser-Belegschaft war so bei Krankheit abgesichert. Nach dem Krieg bot man auch für die Öffentlichkeit eine lebenslange Krankenversorgung an. Das ist fast Krankenversicherung auf Erste-Welt-Niveau, natürlich musste man dafür bezahlen. Kaiser Oakland bot mir 11.000 Dollar im Jahr an…

Viel Geld im Vergleich zu den Unilöhnen...

Ja. Und wir kannten die Westküste gut, weil wir dort im Sommer in den Olympic Mountains campen und dann nach San Francisco zum Partymachen gingen. Es waren die 60er und wir gingen in die Live-Konzerte von Jimi Hendrix und Janis Joplin. Dazwischen arbeitete ich wieder mit Carol, die mein Mentor in Chicago gewesen war. Sie hatte an der University of California in Los Angeles (UCLA) eine der wenigen IBM-Monstermaschinen zur Verfügung gestellt bekommen, eine IBM 3691. Ich fuhr in Carols Auftrag zum City of Hope Spital westlich von LA. Dort wurden TB-Patienten und krebskranke Kinder behandelt. Dieses Krankenhaus verband ich mit Carols Lab. Also, wir kannten den Westen gut und aus meiner Zeit als Kind kannte ich auch Seattle. Mein Vater hatte an der University of Seattle gearbeitet. Als ich das Jobangebot bekam, nahmen wir begeistert an, zogen nach Kalifornien und ich wurde Systemadministrator für die beiden großen IBM Mainframes von Kaiser Permanente.

Das war noch in den 60ern...

Es war 1968. Wir haben Chicago unmittelbar nach dem Parteitag der Demokraten verlassen (Bei dem Parteitag zur Nominierung eines demokratischen Präsidentschaftskandidaten kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der “berüchtigten“ Chicagoer Polizei und Gegner des Vietnamkrieges; Anm. d. Red.). Ich arbeitete bei Kaiser Permanente in Oakland und begann, mich an User- und Standardisierungs-Gruppen zu beteiligen. Als wir 1972 unser erstes Kind erwarteten, entschieden wir, dass San Francisco für uns nicht der Ort ist, um Kinder großzuziehen. Wir zogen aufs Land, praktisch ans Ende der Welt, in den Südwesten von Oregon. Wir hatten eine Farm am Cherry Creek, ungefähr 25 Meilen Luftlinie östlich von Coos Bay. Da blieben wir ziemlich lang und ich arbeitete remote für alle möglichen Leute.

Du hast schon damals remote gearbeitet?

Zum ersten Mal habe ich 1972 Telearbeit gemacht. Zu der Zeit hatte man grundsätzlich geteilte Leitungen. Drei, vier oder fünf Häuser teilten sich dieselbe Kupferkabel-Zweidrahtleitung. Für uns legte die Telekomfirma eine private Leitung von Myrtle Point aus direkt zur Farm. Das waren 25 Meilen (ca. 40 km). So konnte ich das Modem nutzen. Es war mächtig zuvorkommend und ich war wirklich beeindruckt. Übers Netz habe ich dann alle möglichen Vertragsarbeiten gemacht, bevor wir 1986 nach Portland übersiedelten.

Die Gründung von Northwest Microcomputer Systems fällt in die Zeit, während ihr auf der Farm gelebt habt?

Ja. Die Gründertruppe kam aus Coos County. Mikroprozessoren waren gerade im Kommen, der 8080-Prozessor von Intel zum Beispiel (Intel 8080 war ein 8-Bit Mikroprozessor, der den früheren 8008 erweiterte; Anm. d. Red.). Ich spielte damit auf einer Steckplatine herum. Da kommt diese Gruppe von Leuten, zwei Ärzte und der Inhaber eines riesigen alten Eisenwarenladens, Farr True Value Hardware Store. Sie fragten, ob ich eine Point-of-Sale- und Buchhaltungs-Anwendung programmieren könnte. Innerhalb eines Jahres schrieb ich also auf der Farm 20.000 Zeilen Assembler Code dafür. Die Gruppe wollte das dann gerne verpackt haben, ein Komplettsystem mit Hard- und Software. Also haben wir das gemacht.

Stimmt es, dass das aus Holz war?

Das Gehäuse war aus Holz, ja. Ich habe das von meinem Nachbarn Alan Peters, einem Schreiner in Coos County, machen lassen. Eine Kunststoff-Spritzgussform hätte uns über 50.000 Dollar gekostet.

Mitgründer von NMS waren Jay Farr, John Burles, Michael McKeown und Jim Long?

Farr war der Erbe von True Value Hardware. Burles war Steuerberater und McKeown ein Arzt, mit dem ich am Uni-Krankenhaus in Chicago zu tun gehabt hatte. Jim Long war gerade mal 15 und war zu mir gekommen, weil er Computer-Programmierer werden wollte. Er wurde später einer der ersten 100 Mitarbeiter von Cisco. Ich fand noch eine Hardware-Crew in Eugene. Damit war Northwest Micro perfekt.Wir haben ungefähr zwanzig Maschinen gebaut.

Northwest Micro, Zeitungsartikel

Nur 20?

Ja. Immerhin nachdem ich den Monster-Code geschrieben hatte, stieß ich auf die coolen Arbeiten der University of California San Diego (UCSD) zu Pascal. Das lief damals nur auf dem Digital PDP-11. Aber alles, was mir Assembler ersparte, war hochwillkommen. Ich nahm also Kontakt zu der Pascal-Gruppe auf und beteiligte mich an der Arbeit. Ich habe das nicht selbst gemacht, half aber dabei, Pascal auf den 8080-Prozessor zu bekommen. Die Platinen haben wir dann in Eugene bestückt. Da bin ich immer wieder von der Farm aus hingefahren. Wir hatten also eine Pascal-Maschine. Hewlett Packard kaufte die, General Electric und andere.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Aber warum wurden dann nur so wenige gebaut?

Die großen Firmen liebten die Maschine. Unsere Hardware-Leute wollten groß einsteigen und übrigens ging auch Apple gerade an den Start. NMS und Apple waren beide bei der West Coast Computer-Messe in San José 1979. Während unsere Hardware-Leute also gerne weitermachen wollten, sagten die Doktoren, die die großen Geldgeber waren, nein. Es stellte sich heraus, dass für sie NMS ein Abschreibeprojekt war. Als die Firma einging, bekam ich von Freunden ein T-Shirt, auf dem stand: 'Gott hilft den Mehrheitsanteilseignern'.