"All Tomorrow’s Parties": KI-Synthese – Ende des Copyrights, wie wir es kannten

Seite 2: Probleme beim Verwerten von Urheberrechten nehmen zu

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Diese Probleme, vor die generative KI-Systeme die Verwerter von Urheberrechten stellen, dürften sich schon bald verschärfen. Allein im Januar 2023 wurde ein Dutzend neuer Technologien für generative Musik vorgestellt, exemplarisch hier Googles MusicLM – KI-Systeme für endlose Musikteppiche "in the style of" sind in greifbare Nähe gerückt. Jüngst wurde ein Song auf der Videoplattform TikTok millionenfach gehört, in dem synthetische und selbstverständlich unautorisierte KI-Versionen der Rapper Drake und The Weeknd einen neuen Song zum Besten gaben und ein neues Album der Deepfake-Version von Oasis erzeugt einen authentischeren Oasis-Sound als die neueren Platten der Original-Band.

Die Sängerin Grimes gab vor wenigen Tagen ihre Stimme zur Nutzung in KI-Synthesen frei und verlangt im Gegenzug 50 Prozent Lizenzgebühren, falls die Songs erfolgreich sind, während CEO Tom Graham des Start-ups Metaphysics, das sich auf Deepfakes spezialisiert, ein Copyright auf die KI-Anmutung seines Aussehens beantragt hat. Ein Fingerzeig in eine Zukunft der Urheberrechte, in der Künstler an den Erzeugnissen beteiligt werden, für die sie Daten aus Persönlichkeits-Mustern beisteuern, also Daten wie Stimmfarbe, Pinselstrich, Wortwahl und so weiter.

KI-Modelle für Video und 3D werden in den kommenden Jahrzehnten das Erstellen von Latent Spaces ermöglichen, die einem in Echtzeit erkundbaren Film gleichkommen, in dem man durch Prompt-Engineering die ungefähre Kontrolle über das Werk erhält, von Hauptdarsteller bis Kostümierung (wie etwa der nordirische Künstler und Programmierer Glenn Marshall in einem Interview zu seinem Film "The Crow" berichtet).

Die Matrix mutiert von einem fixierten, einmaligen, identifizierbaren Werk zu einem stochastisch explorationsfähigen Raum, in dem man mit Neo durch ein Mash-up aus "Metropolis" und "Die unendliche Geschichte" auf dem Glücksdrachen Fuchur fliegen kann: neuartige Vergnügungsparks als DLC (Downloadable Content) für das Gaming-System Latent Space mit unendlichen Musikstreams, vorgetragen von virtuellen Musikern.

Bereits die ersten Kollisionen des Rechts mit den Prinzipien der Digitalität betrafen vor allem die Rechte der Privatsphäre und der Urheberschaft. KI-Synthesen aus stochastischen Bibliotheken sind nur der neueste, zugegeben: gigantische Fortschritt dieser Entwicklung. Die Auflösung menschlicher kultureller Arbeit in einem digital berechneten, vieldimensionalen Latent Space bedeutet eine weitere, beinahe unlösbare Aufgabe für die Rechtsgebung.

Folgt man den alten Prinzipien eindeutig identifizierbarer Werke von natürlichen Personen, wird der Kulturraum auf lange Sicht unregulierbar. Eine weitere Ausweitung des Urheberrechts allerdings – auf stilistische Merkmale wie im Markenrecht etwa – läuft Gefahr, die kreativen Ausdrucksmöglichkeiten des Menschen einzuschränken.

In der Gegenwart zeigt der von Shutterstock vorgestellte Monetarisierungsansatz einen gangbaren Weg in die Zukunft: Künstler und Fotografen werden für ihren Beitrag zu einem Trainingsdatensatz pro synthetisiertem Bild mit Kleinstbeträgen entlohnt. Ob diese Form der Monetarisierung die wegfallenden Einnahmen durch kreative Arbeit und Tantiemen ausgleichen kann, bleibt mehr als fraglich – schließlich wurde der Wert von Kreativarbeit bereits durch das Aufkommen globalisierter Design-Plattformen enorm unter Druck gesetzt. Ebenfalls denkbar sind regelmäßige Zahlungen äquivalent zu den bereits seit Jahrzehnten gebräuchlichen GEMA-Kopierabgaben auf CD-Brenner oder Kopiergeräte – oder mittlerweile auch Smartphones.

Ob nun Ausschüttungsverfahren anhand der anteiligen Beiträge zu Trainingsdaten oder neuartige, pragmatische Fusionen von Persönlichkeits- und Urheberrechten wie im Fall der Freigabe zur KI-Nutzung von Grimes’ Stimme: Gesetzgeber, Verwertungsgesellschaften und nicht zuletzt Künstler und Urheber stehen vor dem steinigen Weg, Kreativarbeit auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu halten. Ihr Beitrag zum gesellschaftlichen Wohl ist auch in Zeiten stochastisch interpolierbarer Erschließung von Kultur unbestritten – in einer Welt, in der ein virtueller Kurt Cobain in meinem Wohnzimmer Nirvana-Songs im Stil von Vaporwave-Tracks aufführt – "for all tomorrow‘s parties".

(sih)