Deutschlandticket: Warum ein Papierticket auch digital sein kann

Freie Fahrt mit dem Deutschlandticket: Julia Kloiber kommentiert, was das neue Ticket mit Digitalisierung, pünktlichen Bussen und dem 49-Euro-Ticket zu tun hat.

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Ein Teil des Berliner Verkehrsangebots

(Bild: canadastock/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Julia Kloiber

Meine Jugend auf dem österreichischen Land war geprägt von selten fahrenden Bussen und vielen Verkehrstoten. Heute wohne ich in Berlin und fahre täglich mit der U-Bahn. Ich liebe Öffis. Es ist so unkompliziert. Leider hat man in Deutschland das Talent dazu, Dinge im Zeichen der Digitalisierung sinnlos kompliziert, anstatt einfacher und effizienter zu machen.

Neuestes Beispiel ist die Diskussion um das Deutschlandticket, besser bekannt als das "40 Euro zu teure 9-Euro-Ticket". Es startet am 1. Mai. Im Vorfeld gab es eine Debatte darüber, in welcher Form das Ticket verfügbar sein soll: als Papierschein, Chipkarte oder via App. Eines war für den Verkehrsminister schnell klar: richtig "digital" muss es sein, die millionenfach bewährte Variante aus Papier muss weg. In einem modernen Deutschland setzt man auf Chipkarte und App. Dabei sind weder App noch Chipkarte besonders neu und innovativ. In Berlin kaufe ich meine Tickets seit zehn Jahren per App. Aber wenn der Akku leer ist, rettet mich der gute alte Papierschein vom Automaten.

Digitalisierung, damit kämpfen die Verkehrsbetriebe nicht erst seit heute. Gemeinsam mit anderen Open-Data-Aktivistinnen und Aktivisten setzte ich mich vor elf Jahren dafür ein, dass Nahverkehrsdaten von Berlin und Brandenburg offen zur Verfügung gestellt werden. Unser Ziel war es, dass Menschen einfacher an ÖPNV-Informationen kommen und dadurch häufiger auf Bus und Bahn umsteigen. So ist es nach zähen Debatten auch gekommen: 2012 war Berlin die erste Stadt Deutschlands mit offenen Nahverkehrsdaten. Der Digitalisierungsschritt erfüllte seinen Zweck: Heute kann ich über jede x-beliebige App Nahverkehrsrouten einsehen. Umsteigen auf Öffis wurde dadurch einfacher und attraktiver.

TR-Kolumne von Julia Kloiber

Ein attraktiverer, bezahlbarer, klimaschonender Nahverkehr ist auch das primäre Ziel des Deutschlandtickets. Aber, wir wären nicht in Deutschland, wenn wir einfach so an die Erfolgsgeschichte des Neun-Euro-Tickets anknüpfen würden. Das hat mit der vorhandenen Infrastruktur, bestehend aus Apps und Papierschein, gut funktioniert. Nein, wir müssen es schon ein bisschen komplizierter machen. Wir müssen "digitalisieren", um Daten erheben zu können. Von denen hat man 2006 mal behauptet, sie wären das Öl des 21. Jahrhunderts – das muss schließlich gefördert werden.

Wie genau die Daten von App oder Chipkarte ohne Tausende kostspielige Terminals an jedem Ein- und Ausstiegspunkt über das ganze Land verteilt und ohne Dauertracking der App gesammelt werden sollen, bleibt mir jedoch rätselhaft. Die Millionen, die in den Ausbau dieser digitalen Datensammel-Infrastruktur gesteckt werden müssten, brauchen wir dagegen dringend beim Ausbau und der Modernisierung der Strecken und Verkehrsmittel.

Die Aufgabe des Nahverkehrs ist es, Menschen zuverlässig, schnell, barrierefrei und günstig zu befördern. Dazu gehört meiner Meinung nach auch ein barrierearmer Zugang wie etwa ein Papierstreifen aus dem Automaten an der Haltestelle mit digitalem Code. Das ist richtig verstandene Digitalisierung, weil an der auch diejenigen Menschen teilhaben können, die damit überfordert sind, online ein Abo abzuschließen oder sich eine App zu installieren – oder das auch gar nicht wollen. Und das Entlarvende an der ganzen Digitalisierungsdebatte ist: Papier und digital schließen sich in diesem Fall gar nicht aus. Ein Papierticket mit QR-Code ist mindestens genauso digital wie die vorgeschlagene Chipkarte. Spätestens seit der COVID-Pandemie sind wir mit QR-Codes bestens vertraut und wissen, dass auch diese digital ausgelesen werden.

Digitalisierung ist und war noch nie ein Selbstzweck. Wenn man sich das immer wieder ins Gedächtnis ruft, dann kommt man am Ende zu dem Schluss, dass das Einfache den Zweck oft besser erfüllt als das scheinbar Innovative. Erzwingt man Innovation um der Innovation willen, kommen dadurch die Busse auch nicht pünktlicher.

(jle)