Edit Policy: Quad9 in Störerhaftung – neue Rechtsunsicherheit für DNS-Resolver

Seite 2: DNS-Sperren trotz Haftungsausschluss?

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Einen Haken hatte die Novelle des Telemediengesetzes, mit der die Störerhaftung 2017 abgeschafft wurde. Unter Umständen können Internetzugangsanbieter dennoch zu Netzsperren verpflichtet werden, auch wenn sie von Abmahnkosten und anderen Risiken der Störerhaftung befreit sind. Das kommt jedoch nur infrage, wenn eine Urheberrechtsverletzung auf keinem anderen Wege abgestellt werden konnte und die Sperrung zumutbar und verhältnismäßig ist. So ist es auch zu erklären, dass deutsche Internetprovider sich "freiwillig" an der Clearingstelle Urheberrecht im Internet (CUII) beteiligen, in der Unterhaltungsindustrie und Provider sich außergerichtlich auf Netzsperren einigen. Die Provider sparen dadurch gerichtliche Auseinandersetzungen, zum Leidwesen ihrer Nutzer:innen, deren Grundrechte nicht mehr von einem Gericht abgewogen werden können, ehe eine Netzsperre in Kraft tritt. Die Anforderungen an den Grundrechtsschutz, die das Gesetz und die höchsten Gerichte bei Netzsperren durch Internetzugangsanbieter definiert haben, sind aber im Fall Quad9 nicht erfüllt.

Nach Vorstellung des Landgerichts Hamburg müsste es der Stiftung Quad9 ein Leichtes sein, neben Malware auch Urheberrechtsverletzungen zu filtern, sobald sie auf diese hingewiesen wurde. Tatsächlich ist diese Verpflichtung mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden. Die Sperrung von DNS-Abfragen aus Deutschland, wie das Landgericht Hamburg sie verlangt, ist bei dem global verfügbaren Dienst technisch überhaupt nicht vorgesehen. Möglicherweise hoffte Sony darauf, Quad9 würde die Sperrung in vorauseilendem Gehorsam einfach weltweit umsetzen. Eine solche globale Netzsperre hat das Gericht aber weder verlangt, noch wäre sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar. Andernfalls könnten Gerichtsentscheidungen aus autokratischen Staaten, die beispielsweise bestimmte politische Äußerungen unter Strafe stellen, zur weltweiten Sperrung dieser Inhalte führen.

Um der einstweiligen Verfügung zu entsprechen, musste Quad9 also unter großem finanziellem Aufwand sein System umbauen. Darunter leidet auch die Schnelligkeit des DNS-Dienstes in Deutschland. Der Aufwand würde noch erheblich steigen, wenn weitere Sperrforderungen hinzukommen. Bei der Domain, um die sich das Gerichtsverfahren dreht, handelt es sich um eine der Webseiten, die durch die Clearingstelle Urheberrecht im Internet (CUII) von deutschen Internetzugangsanbietern gefiltert wird. Sony Music ist Mitglied des Bundesverbands Musikindustrie, eines der CUII-Verbände. Eine Informationsfreiheitsanfrage der Gesellschaft für Freiheitsrechte beim Bundeskartellamt ergab, dass die CUII bereits die Sperrung von 170 Webseiten plant. Hat die einstweilige Verfügung Bestand, könnte also eine so große Zahl von Sperrforderungen aus Deutschland auf Quad9 zukommen, dass sie ihren Dienst für deutsche Nutzer:innen künftig einstellen müssten.

Die Gefahr des Overblocking bei DNS-Sperren ist erheblich. Diese führen dazu, dass eine ganze Domain nicht mehr erreichbar ist. Deshalb hat der Bundesgerichtshof geurteilt, dass nur Webseiten, die fast ausschließlich aus Rechtsverletzungen bestehen, gesperrt werden dürfen. Im vorliegenden Fall war Quad9 eine Prüfung des Anspruchs von Sony allein deshalb schon unmöglich, da Sonys Schreiben Quad9 gar nicht erreichten. Ob jegliche Sperraufforderungen von beliebigen Unternehmen aus aller Welt sich jeweils ausschließlich auf illegale Inhalte beziehen, vermag Quad9 als nichtkommerzielle, gemeinnützige Stiftung aber auch sonst nicht zu beurteilen. Andernfalls müsste sie juristische Expertise zu allen Rechtsordnungen der Welt heranziehen. Der Bundesgerichtshof hatte in einem ähnlichen Fall in Bezug auf die DENIC geurteilt, dass diese nicht zur eigenständigen Prüfung etwaiger Rechtsverletzungen auf Webseiten verpflichtet werden dürfe, da diese "ohne Gewinnerzielungsabsicht handelt und ihre Aufgabe im Interesse sämtlicher Internetnutzer und damit zugleich im öffentlichen Interesse wahrnimmt", dasselbe dürfte für Quad9 gelten.

Der Europäische Gerichtshof hat Netzsperren unter dem Gesichtspunkt des Grundrechtsschutzes nur dann für zulässig erklärt, wenn unter anderem die betroffenen Nutzer:innen effektive Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung haben, um sich gegen eine etwaige Sperrung legaler Inhalte zu wehren. Laut Bundesgerichtshof können Kund:innen von Internetzugangsanbietern diesen Rechtsschutz auf vertraglichem Wege geltend machen, indem sie bei Overblocking ihren Provider wegen Vertragsverletzung verklagen. Das wird bei einem DNS-Resolver wie Quad9 nicht möglich sein. Schließlich handelt es sich dabei um einen frei verfügbaren Dienst, den jede:r ohne Anmeldung oder Anerkennung von Geschäftsbedingungen verwenden kann. Nötig ist dazu nur der Eintrag 9.9.9.9 als DNS-Resolver in den Systemeinstellungen des eigenen Computers. Unter diesen Umständen sind die Schutzvorkehrungen für die Grundrechte, die der Europäische Gerichtshof für Netzsperren verlangt, nicht erfüllbar. Gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte wird Quad9 sich also dafür einsetzen, dass die einstweilige Verfügung aufgehoben wird.

Die Texte der Kolumne "Edit Policy" stehen unter der Lizenz CC BY 4.0.

(tiw)