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Was war. Was wird.

Die Wochenschau beschäftigt sich mit Sommerlöchern: Von Napster-Streits über Systemkrieger bis hin zu philosophischen Tageszeitungen und unfähigen Internet-Verwaltungen.

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Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Schluss, auß und vor bei: Bei der FAZ kehrt man zur alten Rechtschreibung zurück, um ein dräuendes Sommerloch zu öffnen, das man schreibend wieder schließen kann. So ein ruhiges Sommerloch könnte der Newsticker brauchen, mit Hal in der Sonne und einer Ecole de Surf am Strand von Hossegor. Aber nix da, ich sitze immer noch in der verregneten norddeutschen Tiefebene, der Napster geht um und hält die IT-Nachrichtenküche am Brodeln, dass es nur so schwappt und der Web-Surfer kaum Kurs halten kann. Überall wollen Alternativen zu Napster besichtigt werden. Da hilft ein Blick auf die FAZ-Kollegen von der SZ, die sich eigentlich ß schreiben sollte, wie ßibboleths scheußlicher Kapitalismus. Denn über Napster klärt uns das Feuilleton der SZ in einer eigenwilligen Interpretation des Urteils auf: "Napster ist der Inbegriff des kapitalistischen Raubrittertums in digitaler Version. Das Urteil ist kein Triumph der Schallplattenfirmen über die Fans, sondern ein Sieg der Kultur über die Macht einer Industrie, die Künstler zu content providern degradiert." Ein Sieg der Kultur, die die Kunst davor bewahrt, Content zu liefern, ist denkwürdig.

*** Aber so sind sie, die Sommerlöcher: Da werden selbst Tageszeitungen philosophisch. Oder Rundfunksender – wie ich aus zuverlässiger Quelle in der c't-Redaktion erfuhr, ist selbst für die Dudelsender des Privatfunks Napster kein Fremdwort mehr – die Anfragen häufen sich, um Kommentare für die geneigte Hörerschaft einzuholen, der manches Mal offensichtlich doch noch ein Textbeitrag zugemutet wird. Das nenne ich Marketing: Aus einem obskuren Softwareprojekt, das ein paar Millionen Dollar Investitionen abstaubt, in Nullkommanichts eine weltbekannte Firma zu machen, die nicht einmal den Touch des Undergrounds verliert. Da könnten sich die Grünen eine Scheibe von abschneiden – Mitregieren und gleichzeitig Opposition betreiben, so gut wie Napster bekommen sie das noch lange nicht hin. Was andererseits aber auch meine Nerven beruhigt.

*** Das bringt uns weit weg vom Sommerloch der Rechtsschreibung und des rechten Denkens, hin zur engen Verbindung von Kultur und Sprache. "Spricht Strom türkisch?" lautet die Frage in einer Pressemeldung der deutsch-türkischen Online-Community vaybee.de. Natürlich nicht, meldet Vaybee triumphierend. Deshalb habe man den Stromtarifrechner von Astromo.de für die Surfer ins Türkische übersetzt. Was folgern wir daraus? Dass Strom deutsch spricht natürlich. An mein Hertz!

*** Wer was wie spricht im Sommerloch, sollte aber nicht jedem egal sein. Auftritt Erodata: So nennt sich eine Firma, die mit einem innovativen Jugendschutz auf den Markt will. Er besteht darin, dass Pornoseiten einfach die Nummer des Personalausweises abfragen. Ein Erodata-Programm hinter der HTML-Abfrage errechnet aus der Nummer die Lebensjahre und gibt den Blick ins Rotlichtviertel frei. Ob die Nummern zur weiteren Verwendung gespeichert werden und Papis Personalausweis zugriffssicher gelagert sein muss, darüber klärt uns Erodata nicht auf. Stattdessen erfahren wir, das der Entwickler des Kern-Tools "ueber18" ein 18-Jähriger Jungunternehmer ist, der schon in jungen Jahren an seinem Programm feilte. Auch so kann der Weg zur Reife aussehen.

*** Reife scheint auch im Sommerloch für manche ein Fremdwort zu sein. So langsam nimmt das Interesse doch zu, was denn in Zukunft mit der technischen Infrastruktur und logischen Organisation des Internet passieren soll. Und für all diese Fragen gibt es eine Organisation: die so genannte Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN). Was sich wie der verballhornte Name einer längst vergessenen Band anhört, charakterisiert ausgesprochen eine seltsame Vereinigung. Entstanden aus dem Einspruch der US-Regierung gegen den Versuch der Internet-Techniker, sich selbst eine neue Organisationsform zu geben, entwickelte sie byzantinische Strukturen, die ein normaler Mensch kaum noch durchschauen kann. Und jetzt sollen all die normalen Menschen auch noch ein bisschen mitbestimmen, wer ein bisschen in der obersten Chefetage dieses Konstantinopel des Internet mitbestimmt. Da ist das Interesse groß – aber damit haben unsere Byzantiner nicht gerechnet. Denn wer Mitglied der ICANN werden will, sieht sich ungeahnten Problemen gegenüber. Ungeahnt zumindest für eine Organisation, die die Verwaltung des Internet an sich nehmen will: Die Web-Seite, über die man Mitglied werden kann, steigt regelmässig wegen Überlastung aus. Das schafft Vertrauen in die Zukunft: Wer über neue Domain-Namen entscheidet und bestimmt, wer Registrierungen annehmen darf, bekommt es nicht hin, eine vernünftige, interaktive Online-Anwendung zu basteln. In normalen Zeiten wären unsere Byzantiner nicht einmal ein Thema fürs Sommerloch, sondern höchstens für die Kuriositäten-Sparte am 1. April.

*** Aber bleiben wir ernst: Wenn das Sommerloch vorbei ist, geht es darum, wer uns alle – also diejenigen, die das Internet eher als Mittel zum Zweck ansehen denn als Zweck an sich, also diejenigen, die man in der Regel "normale Internet-Surfer" nennt – in der ICANN vertritt. Eine gute Sache, sollte man meinen. Aber schon der Anschein einer auch nur partiellen demokratischen Legitimation verflüchtigt sich im Nebel von ICANN-Bestimmungen und Verpflichtungen eines ICANN-Direktors. So ein Direktor, der von den Nutzern gewählt werden soll, muss viel Zeit und Geld mitbringen. Also wählen wir lieber gleich Bill Gates oder Larry Ellison – genug Geld haben sie, und sie werden sich von ihren Firmenlenkerpflichten ja wohl lange genug frei machen können, um ein bisschen ICANN-Politik zu betreiben. Oops, da dürfte die Vertretung der Internet-Nutzer fragwürdig sein? Nun, vielleicht haben es Bill und Larry in solchen Ehrenämtern einfach, Unabhängigkeit von ihren geschäftlichen Interessen zu beweisen. Einfacher jedenfalls als der Mitarbeiter einer x-beliebigen Firma, der für sein ICANN-Direktorat darauf angewiesen ist, von seinem Arbeitgeber mindestens sechs Monate pro Jahr freigestellt und subventioniert zu werden. Bist Du nicht willig, so brauch' ich Gewalt... Also, es kommt, wie es kommen muss: Die besten Lösungen sind die abstrusesten. Bill Gates als US-ICANN-Direktor! Und Ron Sommer vertritt die europäischen Interessen – mag auch Chris Gent vor Wut schäumen.

*** Verweilen wir aber noch kurz im Sommerloch. Ich hätte da nämlich noch ein Thema. Keiner mag das IOS, das Betriebssystem der Cisco-Router. Es ist eine Art Mischung aus Windows und Linux für Netzwerkgeräte: Es läuft auf ganz vielen Maschinen, ist nicht Recht brauchbar und hat ein unmögliches Benutzer-Interface, behält aber gerade deswegen den Hauch des Professionellen und DAU-Ungeeigneten. Ideale Voraussetzungen, um auf dieser Basis aus einer Nische ein Monopol zu machen. Wenn Cisco Wohnungen und ganze Häuser mit Netzwerktechnik beglückt, wenn Cisco im Geschäft mit den Telekom-Carrier und bandbreitenhungrigen Internet-Anwendungen Fuß fasst, wenn Cisco Hardware, Software und Dienstleistungen für das Netz vom Hausanschluss bis zum Backbone liefert, dann fehlt nur noch, dass Cisco Disney übernimmt, um auch noch zu bestimmen, was man denn über all die Kabel, Router und Server zu sehen bekommt. Microsoft ein Monopol? Lachhaft.

*** Computer-User und vor allem die Profis unter ihnen brauchen übrigens kein Sommerloch, um das Monster von Loch Ness fröhliche Urständ feiern zu lassen. Bei ihnen nämlich heißt das Sommerlochthema, das für das ganze Jahr gut ist, Windows vs. Linux. Früher war es Windows vs. OS/2 – aber wer außer ein paar trauernden Hinterbliebenen weiß überhaupt noch, was OS/2 ist... Einen Fortschritt haben unsere Systemkrieger allerdings gegenüber den Sommerloch-Berichten gemacht: Sie sind nicht monothematisch. Zwar gibt es auch nur AMD vs. Intel als Alternative zu Windows vs. Linux; aber immerhin stürzt man sich in diese Auseinandersetzung mit genauso viel Eifer. AMD freut's, Intel begutachtet es mit Verwunderung. Hätte ja auch niemand gedacht, dass man aus einem Stück Silizium mit ein paar Dotierungen ein obskures Objekt der Begierde machen kann. Verschwörungstheoretiker mögen nun der Ansicht sein, das sei alles abgesprochen. Eines jedenfalls hat die New Economy entdeckt: Marketing durch Fan-Clubs; Markenbindung hieß das früher, was aber in der Old Economy nicht mehr so recht klappen will. Da wird manch gestandener Manager von VW oder Siemens ganz neidisch.

*** Apropos Systemkrieger und Sommerloch: Ich muss zugeben, ich bin ein interessierter Leser der Foren, die es auf heise online zu den ganzen Meldungen im Newsticker gibt. Das ist besser als alle Nessies, die aus diversen Sommerlöchern grunzend auftauchen. Sicher, das ist ein Geständnis, dass in anderen Welten den Vorwurf des Masochismus eintrüge – aber dem stelle ich mich ganz ungeniert. Immerhin muss selbst meine Freundin zugeben, dass in diesen Foren weit mehr vernünftige Beiträge zu finden sind als in mancher Usenet-Newsgroup. Aber wer kennt schon in Zeiten der New Economy und des multimedialen Internet, in denen selbst Deja seine Archiv-Server abschaltet, noch das Usenet? Das Internet wird schließlich nicht mehr "gebraucht", sondern konsumiert. Wo auch immer man sich nun aber herumtreibt, ob in den Newsticker-Foren, im Usenet oder in den angeblich so modernen Web-Diskussionsgruppen, eines fällt auf: Prügelten früher OS/2-User und seit einiger Zeit Linux-Freaks ungestraft auf Windows ein, so schlagen die Anhänger der Microsoft-Systeme inzwischen zurück. Mir drängt sich aber der Eindruck auf, dass sie sich ein bisschen wie die beleidigten Leberwürste der OS/2-Szene aufführen: Alles ist gut, nur das Presse-Echo ist schlecht. Das zeugt von wenig Vertrauen: Wenig Vertrauen in die Meriten des Systems, das man benutzt; wenig Vertrauen in das Image der Firma, die dieses System herstellt; wenig Vertrauen in die Schwächen der Konkurrenz. Das ist nicht besonders intelligent: Als beleidigte Leberwurst macht man sich nicht beliebt. Und genauso, wie der Spruch stimmt, technische Vorzüge reichten nicht, um sich am Markt durchzusetzen, gilt immer noch, dass noch so geniales Marketing nicht genügt, um ein Produkt zu einem Erfolg zu machen. Etwas mehr Selbstbewusstsein also, meine Damen und Herren – Windows ist nicht so schlecht, wie Microsoft tut.

Was wird.

Montag geht es endlich los. Wären wir noch in der Rubrik Was war..., könnte man es als das ultimative Sommerloch-Thema bezeichnen: Morgen beginnt die Versteigerung der UMTS-Lizenzen. Was allgemein als Mobilfunk der dritten Generation bezeichnet wird, ist technisch vielleicht ganz interessant, für die Benutzer aber nicht viel mehr als die Einlösung all der Versprechen, die mit Handys, PDAs und WAP gemacht wurden: Dann auf jede erdenkliche Art mit elektronischen Hilfsmitteln kommunizieren zu können, wenn man das will. Für die Telekom-Firmen stellt sich das natürlich anders dar: Jeder braucht UMTS, weil jeder natürlich immer und überall online sein will. Das mag man mit Fug und Recht bezweifeln – wenn ich mich mit meinem Buch (aktuell, um das an dieser Stelle zu verraten, Carlos Fuentes' Die Jahre mit Laura Díaz – Harry Potter liegt inzwischen im Kinderzimmer, und da kann er auch bleiben) aufs Sofa zurückziehe, sind Handy und Computer aus. E-Books, WAP und Internet können mir dann gestohlen bleiben – daran wird auch UMTS nichts ändern. Oder doch? Ganz fantastische neue Online-Anwendungen sollen damit möglich sein. Gesehen habe ich davon noch nichts, weder in den .NET-Präsentationen von Microsoft noch in den Vorstellungen von Bertelsmann. Der Wechsel auf die Zukunft, denn die Telekom-Gesellschaften mit UMTS unterschreiben, ist bislang ungedeckt. (Hal Faber) (jk)