Workshop: Licht im Fokus

Seite 3: Heiß oder kalt

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Neben der immensen Dynamik, die von unserem Sehsystem locker bewältigt wird, gibt es ein weiteres Problem beim Sehen von Farben: die Farbtemperatur. Die Wahrnehmung von Farben beruht unter anderem darauf, dass wir in einem Frequenzband elektromagnetischer Strahlung „sehen“, das in etwa eine Oktave (Frequenzverhältnis zirka 1:2) umfasst. Dieser Bereich, der zwischen Rundfunk- und Handywellen sowie Röntgen- und Gammastrahlung liegt, wird als „sichtbares Licht“ bezeichnet und – vereinfacht gesagt – noch einmal in drei Bänder unterteilt, die wir als Rot, Grün und Violettblau empfinden.

Schon eine Herdplatte, die ohne aufgesetzte Töpfe ein paar hundert Grad heiß wird, sendet, außer der als Hitze empfundenen Infrarotstrahlung, sichtbares rotes bis orangerotes Licht aus. Gemessen wird in Kelvin, ausgehend vom absoluten Nullpunkt bei –273,15 Grad Celsius. Bis etwa 1000 Kelvin (727 Grad Celsius) erscheint ein glühender Körper rot, dann wird er zunehmend gelblich (wenn auch Licht im „grünen Band“ vorkommt), bei noch höherer Temperatur von etwa 1600 Grad Celsius (1873 Kelvin) erscheint ein glühender Körper gelblich-weiß (jetzt weist auch das blaue Band nennenswerte Energie auf). Bei noch weiterer Temperaturerhöhung erscheint die Strahlung nach unserer Empfindung immer bläulicher, da die kurzwelligeren Anteile überwiegen. Mittägliches Sonnenlicht entspricht etwa 5000 bis 6000 Kelvin. Dominiert aber das kurzwellige, blau erscheinende Licht noch stärker (beispielsweise durch Streulicht vom blauen Himmel im Schatten), so spricht man von Farbtemperaturen bis etwa 10 000 Kelvin. Paradoxerweise empfinden wir bläuliches Licht als „kalt“ und rötliches als „warm“, obwohl es sich mit der Temperatur echter Lichtquellen gerade umgekehrt verhält: je heißer, desto blauer.

Bestimmte so genannte Tageslicht-Leuchtstofflampen (Biolux von Osram und anderen) oder Projektionslampen und Tageslicht-Xenonlampen erreichen 6000 bis 6500 Kelvin, die neuerdings in Autoscheinwerfern verwendeten Xenarc-Lampen haben eine Farbtemperatur von über 4000 Kelvin, Halogenlampen 3000 bis 3200 Kelvin. Kerzenlicht zeigt dagegen eine Farbtemperatur von nur 1500 bis 1800 Kelvin, Haushaltsglühbirnen um 2800 Kelvin. In all diesem verschiedenartigen Licht können wir die Farben von Gegenständen relativ genau wiedererkennen, sie erscheinen nach entsprechender Gewöhnung der Augen mehr oder weniger gleich.

Dorfwiese: Die linke Bildhälfte zeigt einen falschen Weißabgleich auf Kunstlicht, rechts das Ergebnis der Automatik. (Montage aus zwei Aufnahmen mit der Nikon Coolpix 5000)

Manche Leuchtstofflampen oder ein weißes Kleid im Widerschein einer Wiese weichen zudem von dieser Charakteristik ab, indem sie ein grünliches Licht abgeben (also höhere Anteile im mittleren Wellenlängenbereich). Auch Licht, das durch grünes oder lilafarbenes Flaschen- oder Fensterglas fällt, lässt sich nicht einfach einer „Farbtemperatur“ in Kelvin zuordnen, sondern enthält eine ganz individuelle Zusammensetzung. Leuchtstofflampen weisen kein kontinuierliches Spektrum auf, sondern strahlen bevorzugt auf bestimmten „Linien“. Das ist mit dem Auge direkt nicht zu erkennen, kann aber die farbliche Erscheinung bunter Gegenstände verändern, sowohl für das Auge als auch die Kamera. Leider reagieren Kameras hier mitunter deutlich anders als unser Sehsystem.

Für die Farbfotografie stellte dies von Anfang an ein Problem dar. Farbfilm kann sich nicht, wie das menschliche Sehsystem, an die vorhandene Lichtstimmung anpassen. Daher sind Diafilme normalerweise auf ein mittleres Tageslicht von 5500 Kelvin abgestimmt. In Kunstlicht (Glühlampen) liefern sie gelbliche Bilder, im mittäglichen Schatten oder im Hochgebirge bläuliche. Kaum noch Verwendung findet Kunstlicht-Umkehrfilm, der auf 3200 oder 3400 Kelvin „sensibilisiert“ ist. Etwas unproblematischer arbeitet Farbnegativfilm, weil hier beim Herstellen des „Abzuges“ ohnehin eine Farbfilterung erfolgt, mit der man Farbtemperatur und „Farbstiche“ aus anderen Ursachen (weißes Kleid in grüner Wiese) weitgehend ausgleichen kann.

Die Digitalfotografie muss auch die drei für die Farbdefinition maßgeblichen Spektralbereiche Rot, Grün und Blau „gewichten“, um Weiß als Weiß, Grau als Grau, Gelb als Gelb, Orange als Orange und so weiter erscheinen zu lassen. Wenn das nicht klappt oder der Fotograf eine falsche Einstellung wählt, entstehen Bilder mit sehr starkem Farbstich.

Wer meint, jeden Farbstich in einem Bildbearbeitungsprogramm beheben zu können, wird enttäuscht werden. Beispielsweise führt der Versuch, in der Aufnahme „Dorfwiese“ mit Kunstlichteinstellung statt Tageslicht das Gelb des Hauses und der frischen Zaunplanken wiederherzustellen, dazu, dass auch weiße Häuser gelb werden, während sich im Himmel seltsam lilafarbene Flecken finden. Der Grund: Das falsch aufgenommene Bild hat den darstellbaren Farbraum verlassen, sodass manche Farben nicht mehr unterschieden werden können.

Digitalkameras (sowohl Video- als auch Fotokameras) können sich per „Weißabgleich“ fast perfekt an die „Lichtstimmung“ anpassen und daher Farben in (weitgehend) jedem Licht neutral wiedergeben. Dieser Weißabgleich hat jedoch seine Tücken, und zwar in zweifacher Hinsicht: einmal in Bezug auf die korrekte Ermittlung der „Farbtemperatur“ der Beleuchtung, zum anderen im Hinblick auf unsere Erwartungen. Wenn ein Foto, das in Kerzenlicht oder beim Sonnenuntergang gemacht wurde, alle Farben so rein und kühl wie bei neutralem Mittagslicht wiedergibt, so empfinden wir das als unnatürlich und stimmungslos.

Aus diesem Grund liefert der automatische Weißabgleich moderner Fotokameras bei Tageslicht eine weitgehend neutrale Farbwiedergabe, bei Kunstlicht oder Sonnenuntergängen aber eine „warme“, eher gelblich-orange getönte. Möchte man daher Studioaufnahmen von Bademoden, die mit Halogenlicht statt mit teuren Xenon-Scheinwerfern gemacht wurden, so erscheinen lassen wie an einem sonnigen Südseestrand, muss man von Hand eingreifen oder der Kamera per Voreinstellung auf „Kunstlicht“ sagen: Das soll jetzt nicht aussehen wie bei Kunstlicht, sondern wie bei mittäglichem Sonnenlicht.