Freiform-Ersatzteil selber machen mit 3D-Scanner, Blender und 3D-Drucker

Seite 2: Rekonstruieren

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Videokurs: Blender für Maker

Im Make-Videokurs zeigt der bekannte Buchautor und Blender-Tutor Carsten Wartmann anhand verschiedener kleiner Maker-Projekte, wie man das Open-Source-3D-Softwarepaket Blender für CAD-Aufgaben wie das Konstruieren eigener Vorlagen etwa für den 3D-Druck oder das CNC-Fräsen produktiv nutzen kann.

Für 3D-Konstruktionen nehme ich bevorzugt die Open-Source-Software Blender und speziell für 3D-Druckprojekte habe ich mir mal eine Template-Datei angelegt, bei der die Grundeinheiten auf Millimeter voreingestellt sind (bei Blender entspricht die Standard-Einheit sonst einem Meter). Das hat unter anderem den Vorteil, dass exportierte STL-Dateien in der richtigen Größenordnung im Slicer für den 3D-Drucker auftauchen. Analog gilt das auch für den Import.

Die aus Revo Scan exportiere STL-Datei des Hirschs bestand aus fast 1,8 Millionen Dreiecken und war satte 85 Megabyte groß. Die importierte ich in Blender. Dank meiner vorher geöffneten Template-Datei und der Tatsache, dass der Revopoint Mini zuverlässig auch die absolute Größe von gescannten Objekten erfasst, brauchte ich mich nicht mehr um Skalierungen zu kümmern – ein enormer Vorteil des Lichtmusterverfahrens gegenüber dem ebenfalls denkbaren Verfahren der Photogrammetrie zur Erfassung von 3D-Formen.

Nur die Ausrichtung des Hirschs im Raum musste ich noch von Hand erledigen. Im Object-Mode schob ich ihn in die Mitte des Blender-Welt-Koordinatensystems und richtete ihn so aus, dass seine flache Magnetrückseite auf der X-Y-Grundebene in Blender zu liegen kam.

Jetzt stand die grundsätzliche Entscheidung an, wie ich weiter vorgehen wollte. Eine Möglichkeit wäre, eine Kopie der Bruchfläche zu erstellen (alleine dafür gibt es in Blender eine ganze Reihe von Möglichkeiten), dann bei der isolierten Bruchfläche den äußeren Rand der Fläche auszuwählen und den dann mittels vielfacher Extrusion, Rotation und Skalierung zu einem Geweihende zu formen.

Weil das zwar relativ einfach klingt, aber meiner Erfahrung nach am Ende doch viel länger dauert als gedacht, bis die neue Mittelsprosse ansprechend aussieht und vor allem zur Formensprache des übrigen Geweihs passt, entschied ich mich für einen anderen Weg: Ich wollte versuchen, die gegenüberliegende linke und noch unversehrte Mittelsprosse des Geweihs als Blaupause für das Ersatzteil zu nutzen.

Dummerweise hatte ich beim Export des Scans nicht auf diesen Bereich des Geweihs geachtet, und ausgerechnet rund um die linken Mittelsprosse ballten sich Wolken aus Artefakten. Die waren aber schnell entfernt, wie man in der Bilderstrecke Schritt für Schritt sieht.

Ersatzteile selber machen: 3D-Scans von Artefakten befreien mit Blender (5 Bilder)

Die linke Mittelsprosse des Geweihs soll als Muster für das Ersatzteil der fehlenden Mittelsprosse rechts dienen. Leider treiben sich ausgerechnet in interessanten Geweihbereichen Artefakte herum. Die müssen weg.

Ich wechselte nach der Säuberungsaktion wieder in den Object-Mode und kopierte den Hirsch kurzerhand an identischer Position (Shitf+D, dann ESC). Im Outliner blendete ich den ersten Hirsch aus und fügte über Shift+A und Auswahl von Mesh/Cube aus dem Kontextmenü eine Quader hinzu. Der war erst mal mit zwei Millimetern Kantenlänge winzig, mit der Taste S und Ziehen der Maus brachte ich ihn auf ein paar Zentimetern Größe, rotierte und verschob ihn dann so, dass er möglichst viel von der Hirschkopie verdeckte, aber ein kleines Stück Geweihstange samt der linken Mittelsprosse außerhalb des Würfels sehen ließ (siehe Bilderstrecke).

Ersatzteile selber machen: Ersatzteil rekonstruieren mit Blender (8 Bilder)

Hier habe ich eine Kopie des Hirschen am selben Ort angelegt und den originalen Kopf ausgeblendet. Ein geeignet platzierter und dimensionierter Würfel dient hier als Zielobjekt für einen Boolean-Modifier der Kopf-Kopie im Modus "Difference", der nach Anwendung (Apply) des Modifiers ...

Dann wies ich dem kopierten Hirsch einen Boolean-Modifier vom Typ "Difference" und als "Object" den Würfel zu und wandte den Modifier an. Dasselbe dann nochmal von der anderen Seite der Geweihstange, wobei man den in Ort und Rotation passend angepassten Würfel als Differenzobjekt wiederverwenden kann.

Das Ergebnis des Verfahrens ist ein geschlossenes Mesh, das ein Ausschnitt aus der rechten Geweihstange samt herausragender Mittelsprosse umfasst. Das wiederum lässt sich mittels "Object/Mirror/X Global" spiegeln und auf die andere Seite bringen.

Ziel ist es jetzt, diese gespiegelte Kopie des entscheidenden Stücks der linken Geweihstange als Rohling für das Ersatzteil für die rechte Seite über Rotation und Verschiebung so mit dem gescannten Bestand Deckung zu bringen, dass man am Ende wieder mittels Boolean Modifier im "Difference"-Modus das eine Objekt vom anderen abziehen kann und eine neue Mittelsprosse samt exakt zur Bruchfläche passendem Ende bekommt. Da der Hirsch bei genauer Betrachtung alles andere als symmetrisch ist, passt das gespiegelte Objekt nicht auf Anhieb. Und auch nach allerlei Hin- und Herschieben und -drehen muss man am Ende an die einzelnen Knoten (Vertices) des Oberflächennetzes (Mesh) ran.

Wegen der fantastischen Scan-Auflösung besteht das Mesh selbst des kleinen Ersatzteilrohlings aus sehr vielen Knoten, was die Arbeit mühsam macht. Auf der anderen Seite ist eine so fein in Facetten aufgelöste Oberfläche gar nicht nötig, weil der 3D-Drucker das später ohnehin nicht so präzise reproduziert. Insofern ist das der richtige Moment, das Mesh und sich die Arbeit zu vereinfachen, mittels eines Decimate-Modifiers mit der Ratio 0,05, der die Zahl der Knoten um den Faktor 20 senkt. Anschließend ist es relativ einfach, wie auf Bild 6 in der Bilderstrecke zu sehen, die Knoten des Rohlings nahe der Bruchstelle so zu verschieben, dass anschließend ein Boolean-Modifier im Modus "Difference" den Rohling exakt passend zur gescannten Bruchstelle zurechtstutzt. Was an anderer Stelle nach Anwenden des Modifiers als Restgeometrie noch irgendwo an frei schwebender Mesh-Reste übrig bleibt, kann man einfach wieder mit dem in der ersten Bilderstrecke gezeigten Trick entfernen.

Wie im letzten Bild der zweiten Bilderstrecke zu sehen, habe ich dem Ersatzteil noch einen Handgriff in Form eines langen, schmalen Keils spendiert, der nur an zwei Stellen am Ersatzteil sitzt, der aber im Druck als Stütze und später beim Kleben als Griff dienen kann.