MIT Technology Review 5/2023
S. 74
Report
Mikroskopie
Robert Prevedel entwickelt ein adaptives Mikroskop, mit dem Forschende tief in lebende Gehirne blicken können.
Robert Prevedel entwickelt ein adaptives Mikroskop, mit dem Forschende tief in lebende Gehirne blicken können.
Foto: Kinga Lubowiecka / EMBL

Das ist ein Mikroskop

Die Lichtmikroskopie erlebt derzeit einen Boom. Optische Tricks machen einzelne Proteine in Zellen sichtbar oder erlauben die Beobachtung ganzer Organe. Jetzt kommen smarte Mikroskope, die sich blitzschnell an lebendes Gewebe anpassen – und dem Gehirn beim Denken zuschauen.

Bernd Müller

Noch bis in die 1990er-Jahre stand es schwarz auf weiß in allen Physikbüchern: Mit einem Lichtmikroskop kann man keine Details erkennen, die kleiner sind als die halbe Wellenlänge des Lichts. Das hatte der deutsche Physiker Ernst Abbe vor 150 Jahren herausgefunden. Das kurzwelligste blaue Licht, das das menschliche Auge noch verarbeiten kann, schwingt mit einer Wellenlänge von etwa 400 Nanometern – damit war für die Lichtmikroskopie bei 200 Nanometern Schluss. Für Beobachtungen in der Biologie, etwa von Zellen, ist das zu grob; ihre Organellen messen nur ein Zehntel davon, gar nicht zu reden von einzelnen Molekülen, die noch einmal ein Zehntel kleiner sind. Doch es half nichts: Die Biologen mussten sich mit dem Abbe-Limit abfinden.

Dann kam Stefan Hell. Mit seiner STED-Mikroskopie (Stimulated Emission Depletion) hat der Physiker vom Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Wissenschaften in Göttingen die Tür für die Superauflösungs-Lichtmikroskopie aufgestoßen – und wurde dafür 2014 mit dem Nobelpreis für Chemie belohnt. In der Folge sind viele weitere geniale Methoden entstanden, die Lichtmikroskopie auf ein neues Niveau heben: Sie machen sogar einzelne Proteine sichtbar. Diese Methoden sind zudem so schnell, dass sie in Echtzeit filmen, wie sich Proteine in Zellen bewegen – und so deren Funktion entschlüsseln helfen. Andere Mikroskope können zentimetertief in Gewebe blicken. Das ist nützlich etwa für Neuroforscher, die Versuchstieren beim Denken zusehen wollen. Bisher war in einer Tiefe von einem Millimeter Schluss. Wer tiefer blicken wollte, musste das am toten Gewebe tun. Schon bald sollen ganze Mäusegehirne unterm Mikroskop betrachtet werden – am lebenden und wachen Tier, versteht sich, und nicht-invasiv, also ohne Elektroden im Kopf. Alle diese Methoden profitieren zudem von der Künstlichen Intelligenz. Sie wird in den nächsten Jahren viele Prozesse in der Mikroskopie automatisieren und die Ausbeute guter Bilder vergrößern.