Missing Link: Die Blockchain-Illusion – Chris Dixons Web3-Vision hinterfragt

Seite 2: Schmales Kapitel über Blockchains heute

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Chris Dixons Buch Read Write Own hat 320 Seiten und ist im Verlag Random House erschienen. Die gebundene Ausgabe kostet in den USA 31 US-Dollar netto. Dixon ist Teilhaber des Wagniskapitalgebers Andreessen Horowitz (a16z) und hat dort unter anderem in Coinbase investiert.

(Bild: Penguin Random House)

Nach drei Kapiteln, in denen Dixon eine (ziemlich revidierte) Geschichte des Webs bis heute liefert, die Funktionsweise von Blockchains erklärt, und jene Arten von Dingen erläutert, die man theoretisch mit einer Blockchain machen könnte, folgen "Teil Vier: Hier und Jetzt" und dann der abschließende "Teil Fünf": Was kommt als Nächstes". Der Name des vierten Teils suggeriert, dass er vielleicht eine Liste von Blockchain-Projekten vorlegen wird, die derzeit erfolgreich reale Probleme lösen.

Dies mag der Grund dafür sein, dass der vierte Teil genau viereinhalb Seiten lang ist. Und anstatt erfolgreiche Projekte zu nennen, verbringt Dixon seine wenigen Seiten damit, die "Casino"-Projekte zu kritisieren, die seiner Meinung nach Kryptowährungen einen schlechten Ruf eingebracht und behördliche Prüfungen ausgelöst haben, welche "ethische Unternehmer ... davor zurückschrecken lassen, in den Vereinigten Staaten Produkte herzustellen".

[Dixon spricht davon, dass in den frühen Tagen von "web1" oder der "Lese-Ära" (ein Zeitraum, den er als 1990-2005 definiert) "jeder ein paar Worte in einen Webbrowser eingeben und über fast jedes Thema online lesen konnte". Das ignoriert völlig, dass nur wenige Menschen – kaum "jeder" – in dieser Zeit Zugang zu einem Computer, geschweige denn zu einem Computer mit Internetzugang, hatten. Im Jahr 2005 waren weltweit nur etwa 16 Prozent der Menschen online.]

[Die "Casino"-Sache ist a16zs Version von No True Scotsman, die ich bereits erwähnt habe. Alle guten Projekte, die sie mögen, sind "Krypto-Computer"; alle gescheiterten, peinlichen Krypto-Projekte erhalten das Etikett "Casino" und sind keine "echten" Krypto-Projekte. Als Beispiel für US-scheue Krypto-Firmen nennt er Coinbase und Paxos, die beide mit der Drohung "Wenn Ihr uns keine freundlichen, maßgeschneiderten Vorschriften schreibt, sind wir gezwungen, unser Geschäft woanders hin zu verlagern!" als Lobbying-Taktik eingesetzt haben.]

In der Tat gelingt es Dixon im gesamten Buch nicht, ein einziges Blockchain-Projekt zu identifizieren, das erfolgreich einen nicht-spekulativen Dienst in irgendeiner Größenordnung angeboten hat. Dem kommt er am nächsten, wenn er davon spricht, dass "Technologen seit Jahrzehnten davon geträumt haben, einen Internetzugangsanbieter für die Bevölkerung zu schaffen". Er beschreibt ein Projekt, das "weiter gekommen ist als alle anderen": Helium. Er hat Recht, solange man die Tatsache ignoriert, dass Helium keine Internetverbindung, sondern LoRaWAN bereitstellte, dass die Helium-Hotspots zu dem Zeitpunkt, als er sein Buch schrieb, längst die Phase hinter sich hatten, in der sie ihren Betreibern genug Token einbringen konnten, um gerade noch die Gewinnschwelle zu erreichen, und dass das Netzwerk monatlich etwa 1.150 US-Dollar an Nutzungsgebühren einbrachte, obwohl das Unternehmen mit 1,2 Milliarden Dollar bewertet wurde. Oh, und dass das Unternehmen die Öffentlichkeit über seine vermeintlich namhaften Kunden belogen hat, und dass seine Führungskräfte beschuldigt wurden, die Tokens des Projekts zu horten, um sich selbst zu bereichern. Aber hey, a16z hat Millionen in Helium gesteckt (eine Tatsache, die Dixon nie erwähnt), also kann man genauso gut versuchen, neues Interesse zu wecken!

[LoRaWAN ist ein Netzwerkprotokoll mit geringem Stromverbrauch, das hauptsächlich von Sensorgeräten verwendet wird. Im August 2022 begann Helium damit zu werben, dass es "5G" anbieten würde, eine Behauptung, die Dixon in seinem Buch ohne Vorbehalt wiederholt, obwohl Heliums "5G"... nicht wirklich 5G ist und nur in sehr geringem Umfang eingesetzt wurde.]

Im fünften Kapitel skizziert Dixon einige Anwendungsfälle, die seiner Meinung nach reif für Blockchainifizierung sind: Soziale Netzwerke, Videospiele und das Metaverse, NFTs für Musik und andere Kunst, kollaboratives Geschichtenerzählen, digitaler Geldtransfer, Sicherstellung der Entlohnung von Urhebern, wenn mit ihren Werken KI-Modelle trainiert werden, und Verhinderung von Fehlinformationen durch Deepfakes oder andere Fälschungen. Er führt ein paar schwache Argumente dafür an, warum eine Blockchain bei jedem dieser Anwendungsfälle helfen könnte, versäumt es aber, eines der vielen Blockchain-basierten Projekte zu erwähnen, die bereits versucht haben, diese Dinge zu tun, und bestenfalls nie Fuß gefasst haben, wenn sie nicht spektakulär gescheitert sind. An keiner Stelle geht er auf die vielen Probleme in diesen Bereichen ein, die nicht nur mit einer Blockchain gelöst werden können, oder auf Probleme, die in manchen Fällen durch Verwendung einer Blockchain noch verschlimmert werden.

Er geht auch nicht auf Kritik ein, wonach Blockchains noch keine tragfähigen Projekte hervorgebracht haben, obwohl sie kaum eine neue Erfindung sind. Das Fehlen dieser Erörterung ist besonders amüsant, wenn er erklärt, warum er glaubt, dass Blockchains notwendig sind, um das Internet zu reparieren:

"Es gibt nur zwei bekannte Netzwerkarchitekturen, die den demokratischen und egalitären Geist des frühen Internets bewahren: Protokollnetzwerke und Blockchain-Netzwerke. Wenn neue Protokollnetzwerke erfolgreich sein könnten, wäre ich die Erste, die sie unterstützt. Aber nach Jahrzehnten der Enttäuschung bin ich skeptisch."

[Im Sprachgebrauch von Dixon sind "Protokollnetze" Dinge wie E-Mail, das Web, RSS oder XMPP: offene und weitgehend frei nutzbare Systeme, die Protokolle bereitstellen, auf denen Entwickler Clients und andere Software aufbauen können.]

Blockchains hingegen enttäuschen erst 15 Jahre lang.

In einem Teil des Buches deutet er das Thema kurz an, indem er schreibt: "Es kann Jahre, ja sogar Jahrzehnte dauern, bis neue Computerplattformen vom Prototyp zur allgemeinen Akzeptanz gelangen. Das gilt für hardwarebasierte Computer wie PCs, Mobiltelefone und VR-Headsets, aber auch für softwarebasierte virtuelle Computer wie Blockchains und KI-Systeme. Nach Jahren der Fehlstarts bringt jemand ein bahnbrechendes Produkt auf den Markt, das eine Periode exponentiellen Wachstums auslöst." Er hat recht, dass neue Hardwareprodukte oft eine Weile brauchen, um sich durchzusetzen – oft sind Fortschritte bei Hardware notwerndig, um diese Produkte klein genug, billig genug oder funktional genug für die breite Masse zu machen. Sein einziges anderes Software-Beispiel ist "KI", ein vager und weit gefasster Begriff, der viele Techniken umfasst, die schon seit Jahren weit verbreitet sind, obwohl Dixon behauptet, dass sie erst jetzt, "achtzig Jahre nach ihren Anfängen, zum Mainstream werden". Er bezieht sich dabei natürlich nur auf große Sprachmodelle (eine kleine Teilmenge jener Techniken, die allgemein als "KI" bezeichnet werden), die in letzter Zeit dank der Fortschritte bei Hardware (GPUs) tatsächlich einen Durchbruch erzielt haben. Blockchains haben keine solchen Hardware-Hürden zu überwinden, und Dixon bietet keine Erklärung dafür, worauf genau sie warten oder warum es so lange dauert.