Die Farben des Wasserstoffs und ihre Nutzung im Verkehr​

Die Regierung hat ihre Wasserstoff-Strategie geändert. Auch Wasserstoff aus Erdgas soll künftig relevanter Teil der Strategie sein, denn es gibt zu wenig H2.​

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Mercedes GLC mit Brennstoffzelle

Ein Mercedes GLC mit Brennstoffzelle an einer H2-Tankstelle: Angeboten wurde das SUV mit diesem Antrieb nur kurze Zeit.

(Bild: Mercedes-Benz)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Die meisten Menschen haben schon eine vage Vorstellung davon, dass irgendwas mit Wasserstoff Teil der künftigen Energiestrategien wird. Es werden zum Beispiel gerade viele neue Gaskraftwerke gebaut, die später, bei Verfügbarkeit, Wasserstoffgas verbrennen sollen, das vorher aus Überschussstrom per Elektrolyse erzeugt wird. Diese Kraftwerke müssen bei Mindererzeugung der volatilen Einträge von Wind und Sonne die fehlende Leistung übernehmen. Da der Überschussstrom aus Wind und Sonne stammt, hat dieser Wasserstoff die virtuelle Farbe Grün erhalten für die Diskussion.

Obwohl diese Form der Energiespeicherung extrem teuer und verlustträchtig ist, haben wir noch keine billigere am Start. Dazu kommt, dass Wasserstoff fossile Rohstoffe an einigen kritisch überlebenswichtigen Punkten ersetzen soll, zum Beispiel in der Düngerherstellung oder der Stahl-Direktreduktion. Wenn Deutschland die selbst gesetzten Klimaziele erreichen will, geht das nicht ohne den teuren Wasserstoff. Es wird also sehr dringende Bedürfnisse nach grünem Wasserstoff geben, sodass für die Nutzungsideen aus Verkehr und Heizung (siehe die stete Wasserstoff-Werbung des größten deutschen Heizungsbauers Viessmann) auf die nächsten Jahrzehnte wahrscheinlich schlicht keine nennenswerten Mengen übrig bleiben.

Der Energie-Analyst Michael Liebreich hat zusammen mit seinen Kollegen 2021 überschlagen, wie viel Energie allein die Bereiche bräuchten, die ansonsten nur durch fossile Quellen ersetzbar wären. Ergebnis: Man bräuchte die GESAMTE Erzeugungsleistung aller prognostizierten Anlagen von Wind und Photovoltaik weltweit, nur um die Basics Dünger, Hydrierungsanwendungen in Lebensmittelindustrie, Chemie und Petrochemie, Hydrocracking, Stahlerzeugung und Entschwefelung abzudecken. Kurz: Es gibt trotz steiler Zubaukurven weiterhin und absehbar nicht annähernd genug Wind- und Sonnenenergie, um auch nur die Basics zu bedienen.

Es gibt in weniger dringenden Bereichen mehrere Alternativen. Ein Flugzeug etwa kann außer mit Wasserstoff auch weiterhin mit Kohlenwasserstoffen fliegen, zum Beispiel aus biogenen Quellen. Dennoch ist klar, dass grüner Wasserstoff keine relevante "Wasserstoffwirtschaft" außerhalb Basics+Speicherung trägt, und wahrscheinlich hat dieser Umstand die Bundesregierung motiviert, die Vorgaben für förderfähigen Wasserstoff zu lockern. Es folgt ein Panoptikum an virtuellen Wasserstofffarben zur Bewertung der Quellen des physikalisch farblosen Gases.

Im Sommer 2023 hat die Bundesregierung in einer Änderung der Wasserstoff-Strategie beschlossen, dass auch "blauer Wasserstoff" förderfähig ist. Dieser Umstand findet sich nun auch in der soeben im Parlament beschlossenen Novelle des Gebäudeenergiegesetztes (GEG). Blauer Wasserstoff unterscheidet sich vom "grauen Wasserstoff" aus Dampfreformation von Erdgas durch eine Kohlenstoffabscheidung, die ihn CO₂-neutral machen soll. Die einfachsten Kohlenstoffabscheidungen verbinden mit Sauerstoff zu CO₂. Das soll eingelagert werden. Problem dabei: CO₂ ist bei üblichen Temperaturen und Drücken gasförmig. Ausgasen müsste zuverlässig verhindert werden.

Hier kommen manche Studien zu eher schlechten Ergebnissen. Howard und Jacobson kamen in ihrer Studie 2021 zum Ergebnis, dass blauer Wasserstoff nur 9 bis 12 Prozent geringere Treibhauswirkung hat als grauer Wasserstoff. Schlimmer: Blauer Wasserstoff ist 20 Prozent treibhauswirksamer als einfach Erdgas verbrennen. Grund sind hauptsächlich die zusätzlichen Methanemissionen, denn die Forscher nahmen zur Vereinfachung an, dass kein CO₂ aus den Lagerstätten entweicht. Diese Annahme ist wahrscheinlich zu optimistisch. Wir wissen noch nicht, wie gut und wie lange CO₂ in den Lagerstätten stillhält.

Ein Toyota Hilux mit Brennstoffzelle wartet auf grünen Wasserstoff. Aber es gibt keinen für ihn.

(Bild: Toyota)

Eine Folgestudie des Paul-Scherrer-Instituts betrachtete das Problem noch einmal genauer und kam zum Schluss, dass blauer Wasserstoff fast so treibhausneutral sein könne wie grüner Wasserstoff, wenn die Technik möglichst perfekt sei, also die CO₂-Abscheidungsraten sehr hoch und die Methanverluste sehr gering. Das Forschungsteam um Captain Obvious hat sich allerdings nicht zum großen Problem dieser Forderung geäußert: Das sind alles Kostenfaktoren. Blauer Wasserstoff existiert als Idee, weil er billiger wäre als grüner Wasserstoff. Keiner braucht ihn, wenn er teurer wird. Es fehlt also eine Kostenanalyse. Da es in Norwegen bereits kleine Anlagen gibt, liefern die kommenden Jahrzehnte hoffentlich ein paar nützliche Daten dazu.

CCS in Form von CO₂ hat jedoch viele Probleme: CO₂ braucht mehr Platz als fossile Brennstoffe. Man kann ihn also nur teilweise in leeren ehemaligen Förderstätten lagern, selbst wenn die sich ansonsten eignen würden. Konzentriertes CO₂ ist zudem gefährlich, wie jeder Brauer und Winzer weiß, weil es schwerer wiegt als Luft. Es reichert sich also am Boden an, wenn es doch aus dem Untergrund austreten sollte und in konzentriertem CO₂ kann man kein O₂ mehr atmen.

Nachhaltiges Reisen

Weil wir mehr Wasserstoff brauchen, wird die blaue Variante wahrscheinlich ihre Rolle spielen müssen. Weil wir aber zum Wurschteln neigen, wird sie eher auf dem Papier als in der Realität schlauer als Erdgas sein. Eine interessante Alternative könnte "türkiser Wasserstoff" sein, bei dem Methan pyrolytisch in H2 und festen Kohlenstoff (C) aufgespalten wird, der problemlos gelagert oder (noch besser) in der Industrie weiterverarbeitet werden könnte. Hier könnte solare Wärme für die nötigen günstigen Kosten der Pyrolyse sorgen.

Angesichts der Probleme industriellen Wasserstoffs wird natürlicher Wasserstoff vielleicht interessant, den geologische Prozesse in den Tiefen der Erde produzieren. Man nennt ihn "weißen Wasserstoff", manchmal auch in Anlehnung an seine Bodenschatzeigenschaften "goldenen Wasserstoff". An manchen Stellen dringt das Gas an die Oberfläche, wo es mit teils sehr geringen Bohrtiefen erreicht werden kann. Einige sich stets mit guten Raten regenerierende Brunnen liegen in Mali, wo 96-prozentiges H2-Gas austritt.

Die kanadische Firma Hydroma will dort schon seit längerem geologischen Wasserstoff fördern und rechnet mit einem späteren Preis von einem US-Dollar pro Kilogramm Wasserstoff. Leider ist in Mali die politische Lage sehr instabil, was solche Projekte erheblich erschwert. Eine weitere Firma namens "45-8 Energy" will weißen Wasserstoff aus Frankreich und Deutschland fördern, wo die Kosten zwar wahrscheinlich höher liegen, dafür aber auch bessere Planbarkeit gegeben ist. 45-8 Energy fördert außerdem natürliches Helium und rechnet mit Kostenvorteilen bei Förderung beider Gase.

Ein elektrischer Mercedes-Benz eCitaro an einer Haltestelle. Bei Bussen setzt sich gerade auch eher die Batterie durch. Selbst bei Eisenbahntriebwagen gewinnt in den meisten wirtschaftlichen Betrachtungen die Batterie gegenüber Wasserstoff, weil ja oft nur nichtelektrifizierte Teilstrecken gefahren werden müssen.

(Bild: Mercedes-Benz)

Schließlich gibt es noch "pinken Wasserstoff" aus Kernspaltungsenergie, auch mit "violett" oder "rot" virtuell eingefärbt. In der Kernspaltung ist es sehr einfach, sehr hohe Temperaturen zu generieren, es ist sogar ZU einfach und eins der Kernprobleme der Technik, zu deren bekanntesten Problemen ja Reaktorschmelze und Knallgasexplosionen gehören. Mit hohen Temperaturen, die wenig kosten, kann man Wasserdampf statt per Elektrolyse per Thermolyse in H2 und O₂ (Knallgas) aufspalten. Wie viel das kostet, hängt an vielen Faktoren, die bereits bei der Planung berücksichtigt werden müssen.