Nachhaltiger Beton: Wie der graue Baustoff klimafreundlicher werden kann

Seite 2: Architektonische Zurückhaltung

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Schmidt plädiert daher für architektonische Zurückhaltung – etwa bei großen Abständen, die Decken oder Böden ohne Stützen überbrücken müssen. "Architekten lieben das, aber Betonträger erreichen dadurch mitunter absurde Ausmaße." Allein die Erhöhung einer Stützweite von 5 auf 6,25 Metern steigere den Materialbedarf um rund 30 Prozent. Zudem seien Hochhäuser wahre Betonfresser, weil die unteren Etagen die oberen tragen müssen. Ein zehnstöckiges Gebäude kommt beim Bau laut Schmidt auf die 5,5-fachen CO2-Emissionen eines vergleichbaren ebenerdigen Baus.

Allerdings zersiedeln flachere Bauten auch die Landschaft und führen zu mehr Verkehr. Es hilft also nichts: Der Zement selbst muss klimafreundlicher werden. Die naheliegendste Möglichkeit ist es, das entstehende Treibhausgas einfach abzufangen und einzulagern (CCS, "Carbon Capture and Storage"). Dies ist der bevorzugte Weg der großen Zementhersteller. Die Verfahren dazu sind aus fossilen Kraftwerken bekannt: Entweder wird der Klinker mit reinem Sauerstoff gebrannt ("Oxyfuel"), dann entsteht ein Abgasstrom mit hochkonzentriertem CO2, das sich relativ leicht abfangen lässt. Ein Konsortium um HeidelbergCement will eine entsprechende Demonstrationsanlage im baden-württembergischen Mergelstetten aufbauen. Einen Kreislauf-Ansatz verfolgt der Wettbewerber LafargeHolcim im schleswig-holsteinischem Lägerdorf: Dort soll der nötige Sauerstoff aus der Elektrolyse von Wasser stammen. Der dabei entstehende Wasserstoff soll sich mit dem abgeschiedenen Kohlendioxid aus der Zementherstellung zur Basischemikalie Methanol verbinden.

Das Oxyfuel-Verfahren erfordert allerdings hohe Investitionen in die Zementfabriken und lässt sich nicht nachrüsten. Die sogenannte Aminwäsche kann hingegen auch nachträglich in einem Zementwerk installiert werden, braucht allerdings mehr Energie. In Norwegen will HeidelbergCement auch dieses Verfahren testen. Ein weiteres Konzept verfolgt der Konzern mit dem "Leilac"-Verfahren: Dabei werden die Zement-Ausgangsstoffe in einer Stahlröhre von außen erhitzt, sodass sich die Abgasströme von der Wärmeerzeugung und der chemischen Reaktion getrennt voneinander auffangen lassen. Ein Versuchswerk in Belgien besteht bereits, eine größere Anlage soll in Hannover folgen.

Doch alle diese Verfahren haben drei Nachteile: Sie sind teuer, energieintensiv und es ist völlig offen, was mit dem abgetrennten CO₂ passieren soll: Die Verpressung in den Untergrund ist politisch hoch umstritten und einen nennenswerten Markt für die Verwendung des Klimagases gibt es nicht. CCS könne die Kosten der Klinkerproduktion um den "Faktor zwei bis drei" erhöhen, heißt es in der Studie "Eco-efficient cements" des UN Environment Programmes – und damit auch die Preise für Häuser und Infrastruktur. "Das hätte signifikante soziale Folgen in Entwicklungsländern. Da der meiste Zement jetzt und in Zukunft in Entwicklungsländern produziert wird, sind kostengünstigere Varianten hochgradig wünschenswert."

Wie also lässt sich Zement dazu bringen, schon bei der Herstellung weniger CO₂ auszustoßen? Dazu muss man tiefer in die Chemie einsteigen. Klinker besteht chemisch betrachtet aus einer Reihe von Oxiden, vor allem von Calcium, Aluminium, Silizium und Eisen. Kommen sie mit Wasser zusammen, kristallisieren sie zu festen Hydrat-Komplexen aus. Während aber Siliziumoxid (als Sand) und die übrigen Oxide (als Erze) reichlich in der Erdkruste vorkommen, ist Calcium vor allem in Form von Kalkstein (CaCO3) reichlich und preiswert verfügbar. Dieser ist im Wesentlichen für den CO2-Ausstoß beim Brennen verantwortlich.

Es gibt zwar etablierte Alternativen zu Kalk, etwa Flugasche aus Kohlekraftwerken oder Schlacke aus Hochöfen, die schon heute zu großen Teilen dem Zement zugesetzt werden. Doch ihr Anteil lässt sich kaum noch steigern, denn praktisch das gesamte verfügbare Material landet bereits in der Zementindustrie. Außerdem ist es mangels Industrie in den wenigsten Schwellenländern vorhanden.

Gefragt sind also Ersatzstoffe, die es reichlich vor Ort gibt – so wie die Schalen von Maniok (Cassava). Die Pflanze wächst auf praktisch jedem Boden, ihre Wurzeln sind in Ländern wie Nigeria ein Grundnahrungsmittel, ihre Schalen aber bislang unverwertbarer Abfall, der nicht einmal als Viehfutter taugt und meist in großen Haufen vor sich hin rottet. Wolfram Schmidt hat nun mit Kolleginnen und Kollegen aus Nigeria und Ghana ein Verfahren entwickelt, den Abfallstoff gleich mehrfach zu verwerten: Aus der restlichen an der Schale haftenden Stärke lassen sich zum Beispiel Polysaccharide gewinnen. Sie können Zusatzmittel aus der Erdöl-Chemie ersetzen, welche die Verarbeitung des Zements erleichtern. Die verbliebenen Schalen können unter Sauerstoffabschluss verkohlt ("pyrolysiert") und anschließend bei 750 bis 850 Grad gebrannt werden. Dabei entsteht eine Asche, die ähnlich wie klassischer Portland-Zement mit Wasser reagiert und 20 bis 40 Prozent davon ersetzen kann. Der entstehende Beton ist allerdings nicht mehr unbedingt grau, sondern je nach Austauschmenge braun.