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Weltfunkkonferenz 2023: Karten für Mobilfunk, DVB und WLAN werden neu gemischt

Stefan Krempl
Houher Mast mit Mobil- und Richtfunkantennen, davor ein kleinerer Mast mit Stromkabeln

Wie kann das Telecom-Netz weiterlaufen, wenn das Stromnetz nicht mehr liefert?

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Bis Mitte Dezember verhandeln die 193 Mitgliedsstaaten der ITU in Dubai über neue Regeln für den Funkdienst. Welche Services könnten mehr Spektrum bekommen?

Dubai ist von diesem Montag an bis zum 15. Dezember der Nabel der drahtlosen Kommunikationswelt. Zur Weltfunkkonferenz 2023 (WRC-23) werden über 4000 Delegierte aus den 193 ITU-Mitgliedstaaten erwartet. Als Beobachter werden ferner Vertreter der 278 ITU-Mitglieder des gesamten Sektors anwesend sein. Dazu kommen Vertreter der Schwesterorganisationen der ITU bei den Vereinten Nationen sowie Abgesandte zwischenstaatlicher Organisationen, die Satellitensysteme betreiben, und der Wissenschaft.

Im Kern geht es auf jeder WRC um die "Vollzugsordnung für den Funkdienst" ("Radio Regulations"). Hintergrund ist, dass technische, wirtschaftliche und administrative Veränderungen auch Anpassungen dieses völkerrechtlichen Vertrags und der damit verknüpften Frequenzzuweisungen sowie Orbitalpositionen der zugehörigen Satelliten nötig machen. Einer der Hauptpunkte auf der Tagesordnung dieses Jahr ist die Identifizierung neuer Frequenzbänder für Breitbandverbindungen. Das Spektrum reicht dabei vom Mobilfunknetz bis zu steuerbaren Luftschiffen, die in der Stratosphäre fliegen und als Relaisstationen für Telekommunikation dienen können.

Regionale Telekommunikationsorganisationen legten wichtige Diskussionsthemen für die WRC-23 bereits vor Monaten fest [1]. Für Europa stand von Anfang die Zukunft des UHF-Bands hoch auf der Agenda, mit Auswirkungen auf die Fernsehübertragung sowie den Katastrophenschutz und Rettungsbehörden. Nach längeren Auseinandersetzungen legte die EU ihre Position dazu und zur WRC-23 [2] insgesamt am 18. September als bindende Resolution des Ministerrats fest. Das Papier ist zwar nicht öffentlich, nach außen drang aber: Die "Kulturfrequenzen" im Bereich 470 bis 694 MHz, die aktuell vor allem für die terrestrische digitale Übertragung linearer Fernsehprogramme (DVB-T2) sowie den Betrieb lokaler Funkstrecken im Rahmen der professionellen Veranstaltungstechnik zugeteilt sind, sollen weiter vom Rundfunk voll genutzt werden können [3].

Schlechter sieht es für die Anbieter drahtloser Produktionsmittel etwa im Konzert- oder Konferenzbereich aus, die momentan auch zu den Bestandsnutzern des Bands gehören: Sie sollen ihre Frequenzen künftig mit dem Mobilfunk teilen ("sekundäre Zuweisung"), wenn es nach der EU geht. Die Bundesregierung hatte in Brüssel zunächst im Rahmen einer Empfehlung von Medienberatern [4] für eine gemeinschaftliche Inanspruchnahme des UHF-Bands durch verschiedene Bedarfsanmelder in Form einer "ko-primären" Nutzung geworben. Sie war also dafür, dass der Rundfunk die Frequenzen mit dem Mobilfunk teilen und die drahtlose Bühnentechnik keine Bestandsgarantie erhalten sollte. Zudem wollte die hiesige Exekutive für die Blaulichtbehörden und die Bundeswehr einen Teil des Spektrums freihalten. Damit konnte sie sich aber nicht durchsetzen.

Der CEPT-Vorsitzende Alexandre Kholod ließ schon im März durchblicken [5], der alte Kontinent werde auch versuchen, klare Regeln für unbemannte Flugzeuge und Drohnen festzulegen. Dabei gelte es, Sicherheitsaspekte der gängigen Fluglinien zu beachten. Die europäischen Regulierungsbehörden hoffen ferner auf eine weltweite Harmonisierung der Nutzung von Netzwerken für feste Satellitendienste (FSS) im geostationären Orbit und darüber hinaus, die eine Konnektivität für Flugzeuge und Schiffe im Ku- und Ka-Band ermöglichen würden.

Ein weiteres wichtiges Thema betreffe die mögliche Zuteilung des oberen 6-GHz-Bandes für die internationale mobile Telekommunikation (IMT), führte Kholod aus. Dabei gehe es vor allem darum, weitere Kapazitäten für 5G in städtischen Gebieten zu schaffen. Die Möglichkeit, dieses Spektrum für die WLAN-Nutzung verfügbar zu machen, verkomplizierte die Diskussionen zusätzlich. Dabei wäre auf jeden Fall der Schutz etablierter Dienste im gleichen Band zu beachten – einschließlich Punkt-zu-Punkt-Verbindungen und Satellitenempfang.

Im Juni appellierte ein breites Bündnis aus Netzbetreibern, Hardwareherstellern und Verbänden an die EU-Staaten [6], das gesamte 6-GHz-Band in Dubai nicht für die Mobilfunknutzung zu reservieren und stattdessen lizenzfrei für WLAN verfügbar zu machen. Der Netzwerkausrüster Lancom untermauerte diesen Appell gerade noch einmal [7]. 2021 ebnete die EU-Kommission bereits den Weg für die lizenzfreie Nutzung des unteren 6-GHz-Bands durch schnelles drahtloses Internet [8]. Dabei handelt es sich um den Bereich zwischen 5945 und 6425 MHz.

Nord- und Südamerika wollen den Einsatz moderner, widerstandsfähiger und sicherer digitaler Infrastruktur stärken. Ihr Ziel ist es zudem, die politischen und regulatorischen Rahmenbedingungen der Region zu verbessern, um die Offliner ans Netz zu bringen –mit besonderem Schwerpunkt auf gefährdete Bevölkerungsgruppen und abgelegene Gebiete.

Die Vorbereitungsgruppe für Asien und den Pazifik hofft auf eine Entscheidung zur Verbesserung des technischen und regulatorischen Rahmens für Plattformen in großer Höhe zwischen 20 und 50 Kilometer wie spezielle Luftballons. Solche High-Altitude Platform Stations [9] (HAPS) sollen leichter eingeführt und erweitert werden können. Zudem wollen die Mitgliedstaaten in der Region neue Arten von Satellitendiensten unterstützen wie Earth Stations in Motion (ESIM), solange bestehende Kommunikationsservices geschützt bleiben.

Die GUS ist sowohl an der Implementierung von 5G als auch an Mega-Satellitensystemen mit nicht-geostationärer Satellitenumlaufbahn in verschiedenen Frequenzbändern interessiert. Es müsse aber eine Balance zwischen bestehenden und neuen Funkdiensten gewahrt werden. Die arabischen Staaten wollen untersuchen, wie Satellitentechnologien Breitbanddienste verbessern können, um die Konnektivität insbesondere in abgelegenen Gebieten zu verbessern. Die Region fokussiert sich ferner auf eine angemessene Frequenzzuteilung und notwendige Sicherheitsvorkehrungen für die Erderkundung, Satellitendienste und die Weltraumforschung.

Zu den Schlüsselaspekten für Afrika gehören das UHF-Band und die gemeinsame Nutzung von Spektrum zwischen Satelliten- und mobilen Breitbanddiensten. Eine Herausforderung besteht dort auch darin, die Bedürfnisse der etablierten Telcos mit denen geplanter neuer Dienste in Einklang zu bringen.

Schon die regionalen Vorbereitungen für eine Weltfunkkonferenz folgen festen Regeln, um möglichst alle Interessensvertreter einzubeziehen. Dieser Multi-Stakeholder-Ansatz bindet laut der ITU Regierungen, Regulierungsbehörden, Netzwerkbetreiber, Ausrüster sowie regionale und internationale Organisationen direkt in die Entwicklung konvergenter technischer und regulatorischer Lösungen ein. Anfang Oktober führte die ITU die abschließende Abstimmung der Agenda [10] für die WRC-23 auf einem Workshop mit über 800 Teilnehmern in Genf durch. Die Palette umfasst demnach insgesamt Funktechnologien und damit verbundene regulatorische Herausforderungen und Fragen von 5G und mobilem Breitband bis hin zu entscheidenden Frequenzzuteilungen für Rundfunk, Luftfahrt, Seefahrt, Satelliten, Wissenschaft und Amateurfunkdienste.

Mehrere Tagesordnungspunkte befassen sich mit Spektrum für neue, verbesserte oder zusätzliche Zuweisungen für den Mobilfunk. Dies ist der ITU zufolge wichtig [11], um dem Datenhunger in diesem Bereich zu stillen und möglichst alle Menschen zu vernetzen. Es würden mehrere Frequenzbänder zwischen 3,3 GHz und 10,5 GHz in Betracht gezogen. Das Band 3600 bis 3800 MHz unterstützt bereits in mehreren Ländern verschiedene großflächige mobile Dienste einschließlich drahtloser Breitbandkonnektivität. In Europa, Afrika und der GUS sei dieses Spektrum dem Mobilfunk nur sekundär zugeteilt. Ein Upgrade auf den Primärbereich könnte vielen Staaten helfen, ihre Konnektivitätsziele besser zu erreichen.

Spektrum im Hochfrequenzbereich (HF) zwischen 2,85 MHz und 22 MHz unterstütze bereits die Fernkommunikation mit Flugzeugen, die sich außerhalb der Reichweite terrestrischer UKW-Systeme befinden, heißt es weiter. Auf der WRC-23 würden nun Änderungen an den Funkvorschriften geprüft, die die Nutzung bestehender HF-Bänder durch digitale Technologien in Sicherheitsanwendungen für Verkehrsflugzeuge ermöglichten. Die Konferenz werde sich parallel mit möglichen neuen Frequenzzuteilungen für "nicht sicherheitsrelevante" Szenarien innerhalb des Flugmobilfunkdienstes in den Bändern 15,4 bis 15,7 GHz und 22 bis 22,21 GHz für breitbandige Sichtdatenverbindungen befassen. Dies würde den Datenaustausch zwischen Flugzeugen untereinander und vom Flieger zum Boden ermöglichen, um Beobachtungsmissionen, Such- und Rettungseinsätze, Geowissenschaften und Landmanagement zu unterstützen.

Ausloten wollen die Delegierten auch die Machbarkeit potenzieller Übertragungen von Satellit zu Satellit [12] im Rahmen der derzeitigen festen Dienstzuteilung in den Frequenzbändern 11,7 bis 12,7 GHz, 18,1 bis 18,6 GHz, 18,8 bis 20,2 GHz und 27,5 bis 30 GHz. Dadurch soll eine effiziente, schnelle und kostengünstige Übertragung der an Bord eines Satelliten im erdnahen Orbit (LEO) empfangenen Daten per Weltraumrelais zur Erde gewährleistet werden. Studien zufolge drohen hier keine Auswirkungen auf die meisten etablierten Dienste, obwohl in einigen spezifischen Konfigurationen Probleme drohen könnten.

"In der heutigen vernetzten Welt steht die Suche nach einer gemeinsamen Basis bei der Zuweisung und Regulierung von Funkfrequenzen im Mittelpunkt der globalen Bemühungen, die universelle Konnektivität und den nachhaltigen digitalen Wandel für eine nachhaltige Entwicklung zu beschleunigen", erklärte ITU-Generalsekretärin Doreen Bogdan-Martin vorab.

Wie auch immer in vier Wochen die Ergebnisse lauten: Diese "schreiben nicht die Nutzung eines Bandes in einem bestimmten Land oder einer bestimmten Region vor", heißt es aus Brüsseler Kreisen. Vorgegeben werde vielmehr der Grad zulässiger Störungen an der Grenze benachbarter Länder und Gebiete. Es bleibe einzelnen Staaten überlassen, "für welche Dienste ein bestimmtes Band unter der Bedingung einer nicht schädlichen Interferenz genutzt wird". Letztlich komme es also auf die EU-Gesetzgebung an. Die entsprechenden Gremien träfen im Nachgang etwa auch "ihre eigenen souveränen Entscheidungen darüber", wie das 6-GHz-Band im Einklang mit den EU-Zielen und -Vorgaben zum Nutzen der Wirtschaft und Gesellschaft aufgeteilt werde.

(kbe [13])


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https://www.heise.de/-9533969

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.itu.int/hub/2023/03/wrc-23-regions-prepare-spectrum-proposals
[2] https://www.itu.int/wrc-23
[3] https://www.heise.de/news/Weltfunkkonferenz-EU-will-UHF-Band-fuer-DVB-T2-erhalten-9314562.html
[4] https://www.heise.de/news/Studie-zum-TV-UHF-Band-Es-wird-eng-fuer-DVB-T2-nach-2030-6301487.html
[5] https://www.itu.int/hub/2023/03/wrc-23-representing-europe
[6] https://www.heise.de/news/Hersteller-Allianz-6-GHz-Band-auch-fuer-WLAN-offen-halten-9200600.html
[7] https://www.heise.de/news/Netzwerkausruester-zur-Weltfunkkonferenz-EU-soll-6-GHz-Band-komplett-WLAN-widmen-9528520.html
[8] https://www.heise.de/news/Schnelles-WLAN-EU-Kommission-gibt-Spektrum-fuer-Wi-Fi-6E-frei-6111248.html
[9] https://www.heise.de/news/Starlink-OneWeb-Co-Rechtsbasis-fuer-Satelliten-Internet-kommt-5992435.html
[10] https://www.itu.int/hub/2023/10/wrc-23-preparations-finding-common-ground-on-spectrum-allocation-and-regulation
[11] https://www.itu.int/hub/2023/02/why-wrc-23-will-be-pivotal-for-terrestrial-services
[12] https://www.itu.int/hub/2023/02/wrc-23-international-regulation-of-satellite-services
[13] mailto:kbe@heise.de